Robert Silverberg : Der 13. Unsterbliche (The 13th Immortal)
Terra SF 245, 31.08.1962
Deutsche Erstausgabe
Originalausgabe 1956
Aus dem Amerikanischem von Gisela Stege
Titelbild : Karl Stephan
In späteren Jahrhunderten sprachen die Menschen von jenen Jahren als den Jahren des Stillstands. Sie meinten damit die Jahre zwischen 2062 und 2527, die Jahre, in denen die Menschheit, von eigener Hand vernichtet, sich während des Wiederaufbaus ihrer Welt jeglichem zivilisatorischen Fortschritt eisern verschloß.Vorwort "Der 13. Unsterbliche"
Es waren jene Jahre, als alles blieb, wie es war. Jene Jahre, als nichts Neues geschaffen wurde, weil die Menschheit es so wollte. Das Jahrhundert des großen Krieges, das seinen Höhepunkt in der fast globalen Zerstörung von 2062 fand, hatte den Menschen eine Lehre erteilt, die sie nicht so bald vergessen sollten.
Alte Gewohnheiten lebten wieder auf - Gewohnheiten, die Jahrtausende überdauerten und nach einer kurzen, beklemmenden Herrschaft der Maschine wieder triumphierten. Die Menschheit hatte zwar immer noch Maschinen - natürlich, das Leben wäre ohne sie unmöglich gewesen. Aber die Jahre des Stillstands waren Jahre, in denen die Handarbeit überwog, wo man zu Fuß oder zu Pferd reiste, langsam lebte und Kompliziertheit fürchtete. Die Zeit wurde bis zu einer älteren, einfacheren Welt zurückgedreht - und da stand sie still.
Wie alle Zeitalter, so hatte auch dieses seine Symbole, und es fügte sich gut, daß die Symbole des Status quo auch als symbolische Kräfte für die Aufrechterhaltung des Stillstands wirken konnten. Es gab deren zwölf - die Zwölf Herzöge, wie sie sich nannten, und sie regierten die Welt. Sie hatten zwar keine Macht über den vergessenen Kontinent Antarctica, aber abgesehen davon herrschten sie unumschränkt. Nordamerika, Südamerika, Ostund Westeuropa, Skandinavien, Australien, Nordafrika, Äquatorialafrika, Südafrika, China, Indien, Ozeanien - jedes dieser Gebiete hatte seinen Herzog.
Sie waren aus der großen Katastrophe von 2062 hervorgegangen, und ihr Weg zur Macht war keineswegs glatt und bequem gewesen. Die meisten unter ihnen hatten zunächst ein normales Dasein geführt, hatten in den ersten, wirren drei Jahrzehnten nach der großen Zerstörung zusammen mit den anderen Menschen mühselig ihr Leben in den Trümmern gefristet. Aber die anderen waren gestorben, und die Zwölf starben nicht. Sie waren geblieben, vierzig, fünfzig, sechzig Jahre lang, selbst in der Blüte ihres Lebens auf ewig zum Stillstand gekommen. Und als die Jahrzehnte vergingen, hatte jeder sich den Weg zur Macht über einen Teil der Welt erzwungen. Jeder hatte sich ein Herzogtum erkämpft, und im Jahre 2162, dem Jahrhundert des Untergangs der alten Welt, trafen sie sich, um die Welt unter sich zu teilen.
Es gab einen erbitterten Kampf um die Macht, aber daraus ging die Welt der Zwölf Reiche hervor, beständig, ruhig, unveränderlich, fest entschlossen, eine Wiederholung der Schrecken des Maschinenzeitalters unmöglich zu machen. Das Bild war verlockend: Zwölf Unsterbliche, die ihre Welt ruhig bis zum Ende aller Zeiten regierten.
Gelegentlich liefen in den Zwölf Reichen Gerüchte um, daß ihnen von Antarctica Gefahr drohe. Menschen hatten kurz vor dem großen Umsturz Antarctica vom Eis befreit, und man wußte die Polarregionen bewohnt. Aber Antarctica errichtete eine unpassierbare Barriere, die es von den Zwölf Reichen vollkommen abschloß, so daß es wie auf einem anderen Planeten lebte. Und so dauerte der Stillstand fort. Die zerschlagene Welt wurde wiederaufgebaut, kleiner und bescheidener als früher, hielt an der einfachen Lebensweise fest und kam darin zum Stillstand. Hier und da weigerte sich eine einzelne Stadt, den Stillstand mitzumachen, aber sie zählte nicht. Sie wollte abseits bleiben, so wie Antarctica, und die Zwölf Herzöge beachteten sie kaum.
Für neunzig Prozent der Welt stand die Zeit still.
Was man bei Robert Silverberg gerne vergisst, ist sein unglaubliches Talent, wahnsinnig spannende und kreative Abenteuergeschichten zu erzählen. Wenn auch seine bedeutenden Werke sicherlich wichtiger sind, war ich persönlich von Anfang an fasziniert von seinen Abenteuerromanen. Auch dies ist einer davon und nicht der Schlechteste. Ich erzähle jetzt nichts weiter aus dem Inhalt um nicht zu spoilern, denn viele Twists dieses Romans lesen sich beim ersten Mal ganz anders als bei einem erneuten Lesen. Was ich aber sagen kann, ist daß die Geschichte an sich unheimlich dicht ist, dem Leser bleibt sozusagen keine Zeit, um Atem zu holen. Sie ist auch, wie man dem Vorwort auch entnehmen kann, sehr schön übersetzt, ich lese sie jetzt das x-te Mal (x > 10) und empfinde sie jedesmal wieder als ganz große Abenteuer-SF.
Und, was mir diesmal beim Lesen auffiel : Wahnsinnig optimistisch und ziemlich kritisch gegenüber damaligen Entwicklungstendenzen. Robert Silverberg rechnet in diesem Roman der 50er (!) mit den über Allen schwebenden Künstlern ebenso ab wie mit den Technologiefetischisten. Für ihn sind beide Extreme inhuman und, wenn man sich die Szenen in der Künstlerkolonie und der Stadt Wiener genauer ansieht, weder in der einen noch in der anderen Form lebensfähig. Ich glaube, hier war Silverberg seiner Zeit mindestens 20 Jahre voraus.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen