Na endlich: Auch der Bayerische Rundfunk will kreativ sein, „kreativ und fair“ sogar. Zu diesem Zweck hat er einen kleinen Leitfaden herausgegeben, bayrisch-blau und heiter-zitronig auf dem Titel, schwarz und blau auf Weiß im Innenteil, voll „praktischer Tipps“. Hinführen soll der Faden zu einem Ziel, das man gerne alternativlos nennte, wollte der BR als „modernes Unternehmen“ nicht künftig eine besonders „alltagstaugliche, gut lesbare und hörbare“ Sprache verwenden. Zugleich soll diese Sprache – und das ist das eigentliche Anliegen – „geschlechtergerecht“ sein, „denn wer nicht genannt wird, kommt nicht vor.“
Als Journalistinnen und Journalisten* arbeiten wir jeden Tag mit unserem Handwerkszeug, der Sprache. Unsere Berichte sollten möglichst wertfrei, korrekt und präzise die Sachverhalte wiedergeben. Nicht selten passiert es aber, dass Wörter wie »Einwanderer«, »Zuwanderer« und »Migrant« im selben Text nebeneinander verwendet werden, in der Annahme, sie würden alle dasselbe bedeuten. Worin sich diese Begriffe unterscheiden und bei welchen weiteren Themen ungenau formuliert wird, erläutern wir in diesem Glossar. Es soll als Hilfestellung für die tägliche Redaktionsarbeit dienen.
Das sogenannte Binnen-I ("die VerbraucherInnen"), bei den Grünen sehr beliebt, ist umstritten, weil es von der Existenz zweier klar bestimmbarer Geschlechter, nämlich Männern und Frauen, ausgeht, wie es in einem Sprachleitfaden der Universität Köln heißt. Eine Lösung wäre das in der Queer-Theorie populäre "Gender-Gap", wie es unter anderem das Zentrum für Geschlechterstudien der Berliner Humboldt-Universität praktiziert: "Die Gender Studies freuen sich über Student_innen aus dem ... Ausland."
Die Leerstelle schlage in ihr dialektisches Gegenteil um und verweise "im Sinne der Unterstrichvariante auf Menschen, die gesellschaftlich und strukturell unsichtbar gemacht werden", erklärt die Philosophin Gudrun Perko. Wobei unklar ist, ob das auch jeder Leser versteht. Als Alternative gilt der Genderstar, auf den die Grüne Jugend Hessen setzt: "ein Feiertagsgesetz, womit jede(*)r leben kann".
Der letzte Schrei in Genderzirkeln ist das "Dynamische Gendern". Man setzt einen Unterstrich irgendwo im Wort ("Fem_inistinnen"). So wird hervorgehoben, "dass es nicht einen festen Ort gibt, an dem ein Bruch in Zweigenderung stattfindet", wie es in einem Blog heißt.
»Wie geht's mit dem Wörterbuch vorwärts?« fragte Winston mit erhobener Stimme, um den Lärm zu übertönen.
»Nur langsam«, sagte Syme. »Ich bin jetzt bei den Adjektiven. Es ist sehr interessant.«
Bei der Erwähnung des Neusprech war er sofort lebhaft geworden. Er schob seine Schüssel beiseite, ergriff mit der einen seiner zarten Hände sein Stück Brot und mit der ändern den Käse; dabei beugte er sich über den Tisch, um nicht schreien zu müssen.
»Die Elfte Ausgabe ist die endgültige Fassung«, erklärte er. »Wir geben dem Neusprech seinen letzten Schliff – wir geben ihm die Form, die es haben wird, wenn niemand mehr anders spricht. Wenn wir damit fertig sind, werden Leute wie du die Sprache ganz von neuem erlernen müssen. Du nimmst wahrscheinlich an, neue Worte zu erfinden. Ganz im Gegenteil! Wir merzen jeden Tag Worte aus – massenhaft, zu Hunderten. Wir vereinfachen die Sprache auf ihr nacktes Gerüst. Die Elfte Ausgabe wird kein einziges Wort mehr enthalten, das vor dem Jahr 2050 entbehrlich wird.«
Er biss hungrig in sein Brot, und nachdem er zwei Bissen geschluckt hatte, fuhr er mit pedantischer Leidenschaft zu sprechen fort. Sein mageres, dunkles Gesicht hatte sich belebt, seine Augen hatten ihren spöttischen Ausdruck verloren und waren fast träumerisch geworden.
»Es ist eine herrliche Sache, dieses Ausmerzen von Wörtern. Natürlich besteht der große Leerlauf hauptsächlich bei den Zeit- und Eigenschaftswörtern, aber es gibt auch Hunderte von Hauptwörtern, die ebenso gut abgeschafft werden können. Es handelt sich nicht nur um die sinnverwandten Worte, sondern auch um Worte, die den jeweils entgegengesetzten Begriff wiedergeben.
Welche Berechtigung besteht schließlich für ein Wort, das nichts weiter als das Gegenteil eines anderen Wortes ist? Jedes Wort enthält seinen Gegensatz in sich. Zum Beispiel ›gut‹: Wenn du ein Wort wie ›gut‹ hast, wozu brauchst du dann noch ein Wort wie ›schlecht‹? ›Ungut‹ erfüllt den Zweck genauso gut, ja sogar noch besser, denn es ist das haargenaue Gegenteil des anderen, was man bei ›schlecht‹ nicht wissen kann. Wenn du wiederum eine stärkere Abart von ›gut‹ willst, worin besteht der Sinn einer ganzen Reihe von undeutlichen, unnötigen Worten wie ›vorzüglich‹, ›hervorragend‹ oder wie sie alle heißen mögen? ›Plusgut‹ drückt das Gewünschte aus; oder ›doppelplusgut‹, wenn du etwas noch Stärkeres haben willst. Freilich verwenden wir diese Formen bereits, aber in der endgültigen Neusprech gibt es einfach nichts anderes.
Zum Schluss wird die ganze Begriffswelt von Gut und Schlecht nur durch sechs Worte – letzten Endes durch ein einziges Wort – gedeckt werden. Siehst du die Schönheit, die darin liegt, Winston? Es war natürlich ursprünglich eine Idee vom G. B.«, fügte Syme hinzu.
Ein mattes Aufleuchten huschte bei der Erwähnung des Großen Bruders über Winstons Gesicht. Trotzdem stellte Syme sofort einen Mangel an Begeisterung fest.
»Du weißt Neusprech nicht wirklich zu schätzen, Winston«, sagte er beinahe traurig. »Selbst wenn du in ihr schreibst, denkst du noch immer in der Altsprache. Ich habe ein paar von den Artikeln gelesen, die du gelegentlich in der Times schreibst. Sie sind recht gut, aber es sind doch nur Übertragungen. Dein Herz hängt noch an der Altsprache, mit allen ihren Unklarheiten und unnützen Gedankenschattierungen. Dir geht die Schönheit der Wortvereinfachung nicht auf. Weißt du auch, dass Neusprech die einzige Sprache der Welt ist, deren Wortschatz von Jahr zu Jahr kleiner wird?«
Nein, Winston wußte das nicht. Er lächelte, wie er hoffte, mit einem anerkennenden Ausdruck, ohne daß er zu sprechen wagte. Syme biß wieder ein Stück Schwarzbrot ab, kaute kurz und fuhr dann fort: »Siehst du denn nicht, daß Neusprech kein anderes Ziel hat, als die Reichweite des Gedankens zu verkürzen? Zum Schluß werden wir Gedankenverbrechen buchstäblich unmöglich gemacht haben, da es keine Worte mehr gibt, in denen man sie ausdrücken könnte. Jeder Begriff, der jemals benötigt werden könnte, wird in einem einzigen Wort ausdrückbar sein, wobei seine Bedeutung streng festgelegt ist und alle seine Nebenbedeutungen ausgetilgt und vergessen sind. Schon heute,
in der Elften Ausgabe, sind wir nicht mehr weit von diesem Punkt entfernt. Aber der Prozeß wird immer weitergehen, lange nachdem wir
beide tot sind. Mit jedem Jahr wird es weniger und immer weniger Worte geben, wird die Reichweite des Bewußtseins immer kleiner und kleiner werden. Auch heute besteht natürlich kein Entschuldigungsgrund für das Begehen eines Gedankenverbrechens. Es ist lediglich eine Frage der Selbstzucht, der Wirklichkeitskontrolle. Aber schließlich wird auch das nicht mehr nötig sein. Die Revolution ist vollzogen, wenn die Sprache geschaffen ist.
Neusprech ist Engsoz, und Engsoz ist Neusprech!«, fügte er mit einer Art geheimnisvoller Befriedigung hinzu. »Hast du schon
einmal bedacht, Winston, daß um das Jahr 2050 kein Mensch mehr am Leben sein wird, der ein solches Gespräch, wie wir es
eben führen, überhaupt verstehen könnte?«
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