[...]In Bonn wie in Karlsruhe ging es allein um das zulässige Maß von Beschränkungen, sei es durch das Strafrecht, sei es durch das Versammlungsgesetz. So gesehen haben selbst die Sternstunden der Verfassungsgerichtsbarkeit immer einen kalten Glanz: Urteile zugunsten der Bürgerfreiheit ergehen regelmäßig in der Form von Verboten – aber eben von Verboten an die Staatsgewalt, ein Grundrecht durch einschränkende Gesetze oder behördliche Maßnahmen in seinem Kern anzutasten und letztlich aufzulösen.
Die ersten publizistischen Kritiker von rechts haben, wozu freilich nicht sehr viel Scharfsinn gehört, sogleich erkannt, daß der Karlsruher Beschluß und das Bonner Gesetz auf einem unterschiedlichen Menschenbild der Richter einerseits und der gegenwärtigen Parlamentsmehrheit andererseits beruhen. Ausgangspunkt der Richter ist der vom Willen zu politischer Mitwirkung getragene „Aktivbürger“, der sich nicht damit begnügt, alle vier Jahre seinen Wahlzettel in die Urne zu werfen, sondern „denen da oben“ auch schon mal demonstrativ, aber gewaltlos, seine Meinung zusammen mit Gleichgesinnten auf der Straße sagt [...].
Im Blickpunkt der gesetzgebenden Mehrheit und ihrer publizistischen Gefolgschaft hingegen stehen zum einen die notorischen Chaoten und Gewalttäter, die überwiegend gar nichts Politisches im Sinn haben und eine Demonstration ganz ähnlich wie ein Fußballspiel zum willkommenen Anlaß für Randale nehmen. Aber zum anderen sind es die Andersdenkenden, [...] die man gern zu Kriminellen stempelt [...].
Welches dieser beiden Menschenbilder steht dem Wortlaut, dem Geist des Grundgesetzes und dem vermutlichen Willen seiner Verfasser wohl näher? Das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit ist ganz gewiß nicht für Chaoten und Schläger geschaffen worden, aber ebenso gewiß nicht gegen Andersdenkende, sondern gerade für sie. Deshalb muß es sich aus dem Grundgesetz von selbst verbieten, das vornehme Recht des Andersdenkenden allein im erstarrten Blick auf diejenigen einzuschränken, die es mißbrauchen.
Doch die Sprache der Konservativen verrät, daß Demonstranten für sie per se suspekte Leute sind. Das Wort ist bei ihnen negativ besetzt – und nicht etwa nur deshalb, weil das Demonstrationsrecht gelegentlich mißbraucht wird. [...]
Die Welt erfand in einer mit „Der Freibrief“ überschriebenen Polemik gegen den Karlsruher Beschluß sogar ein neues Grundrecht – die „Weghörfreiheit“ –, das sie der Demonstrationsfreiheit entgegensetzt und mit dem sie allen Ernstes die Forderung begründet, Demonstranten sollten sich nur auf einem zuvor von ihnen gemieteten Gelände versammeln dürfen; zu bewegen hätten sie sich schon gar nicht. Man fühlt sich bei der „Weghörfreiheit an die als Briefbeschwerer verwendete Gruppe der drei Affen erinnert, die sich unter dem urdemokratischen Motto zusammengefunden haben: „Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.“
Den kompletten Artikel findet man übrigens hier : Eine Demonstration für die Bürgerfreiheit
Was fällt mir dazu ein : Die "bieten alle nicht die Gewähr voll einzutreten jederzeit für diese freiheitliche ... undsoweiter ... Na, Sie wissen schon." Weder damals noch heute.
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