Robert A. Heinlein : Tunnel zu den Sternen (Tunnel in the Sky)
Terra SF 438/439, 07.01.1966
Nachdruck des gleichnamigen Leihbuchs von 1956
Originalausgabe 1955
Aus dem Amerikanischen von Kurt Seibt
Titelbilder : Karl Stephan
Diese spannende und abenteuerliche Geschichte spielt zu einem Zeitpunkt, da Weltraumschiffe bereits so altmodisch anmuten wie heutzutage etwa das erste Automobil oder das erste Kopfhörerradio. Eine Gruppe von Schülern hat eine Prüfung abzulegen; die Aufgabe besteht darin, auf irgendeinem unbekannten Planeten, nur auf die eigene Intelligenz und den Instinkt angewiesen, sich gegen mannigfache Gefahren und Todesdrohungen zu verteidigen. Und so treten sie den Sprung an durch ein geheimnisvolles Tor - und befinden sich plötzlich jenseits von Zeit und Raum allein im Weltall.Klappentext der Gebr. Weiss-Ausgabe
Rod Walker, einer der Prüflinge, steht mitten im Urwald. Eine unbekannte Macht überfällt ihn, und er verliert seine gesamte Ausrüstung, bis auf ein Messer. Anderen Prüflingen geht es ähnlich. Durch eine kosmische Katastrophe wird nach Ablauf der Frist ihre Rückkehr auf die Erde verhindert, und so müssen sie, zu einer kleinen Gemeinde zusammengeschlossen, ganz von vorn anfangen wie die ersten Menschen, und aus dem Nichts einen Staat aufbauen.
Was Heinlein bei dieser Gelegenheit über das Zusammenleben der Menschen sagt, ist voller Ironie, voll gütigem Humor und tieferer Bedeutung. Er hat uns mit diesem Buch einen seiner besten Zukunftsromane geschenkt.
Viele von uns wurden ja in der Schule mit dem "Herrn der Fliegen" genervt. Dies hier ist ein Gegenentwurf zur Geschichte von Golding. Im Gegensatz zur pessimistischen Weltsicht des Schulbuchs zeigt Heinlein hier das Zusammenarbeit auch (und vielleicht gerade) unter primitivsten Bedingungen möglich und machbar ist. Dabei geht er nicht blauäugig an die Sache heran, sondern realistisch. Allerdings optimistisch und - und das ist vielleicht das Beste an diesem Roman - seiner Zeit in einigen gesellschaftspolitischen Aspekten weit voraus.
In der Zukunft können Schulkinder eine Prüfung im Überlebenstraining ablegen. Dazu werden sie durch Sternentore über ein Wurmloch auf einen fremdem Planeten gebracht, auf dem sie etwa einen Monat alleine zurecht kommen müssen. Durch eine Nova wird der Planet, auf dem Rod Walker seine Prüfung macht, vom Torsystem isoliert und die Kids der verschiedenen Survival-Gruppen müssen einige Jahre dort überstehen, bis die Erde wieder Kontakt aufnehmen kann. Um Rod Walker herum baut sich eine Zivilisation auf, mit den üblichen Problemen : Gewaltbereite Nichtunwoller, Laberköpfe, Mäntelchen-nach-dem-Wind-Dreher, Besserwisser und und und. Aber im Team schafft es die Gruppe, alle Probleme zu lösen und gemeinsam zu überleben. Ich persönlich halte diese Aussage für viel eher nobelpreiswürdig als Goldings nihilistischen Roman. Aber erstens ist das Geschmackssache und zweitens ist "Tunnel in the Sky" heutzutage doch etwas sperrig, viele Details des Romans sind doch stark in den 50ern verhaftet.
Zwei Details sind allerdings bemerkenswert : Heinleins Darstellung der Geschlechterrollen und sein (impliziter, aber deutlicher) Kommentar zur Rassentrennung, die damals in den Staaten noch voll im Gange war. Der Busboykott von Montgomery fand erst Ende 1955 statt, erst ab diesem Zeitpunkt ging es mit der Segregation voran (bzw. abwärts). Aber fangen wir mit der Darstellung der Frauen an : Sie sind noch nicht so emanzipiert, wie sie sein sollten, nehmen aber im Roman schon an allen gesellschaftlichen Positionen teil. Rods Schwester beispielsweise ist "bei den Amazonen", offenbar so etwas wie eine KSK-Einsatztruppe. In den Survival-Gruppen sind wie selbstverständlich Mädchen und Jungen zusammen, Heinlein macht hier keine Unterscheidung zwischen den Geschlechtern, Hauptfiguren sind gleichverteilt männlich oder weiblich.
Interessant ist, daß Heinlein sich hier über die Rassentrennung hinwegsetzt und Farbige neben Weißen oder Chinesen unterschiedslos auftreten lässt. Auch sein Protagonist, Rod Walker, ist ein Afroamerikaner, was allerdings im Roman zur damaligen Zeit nur implizit angedeutet werden konnte. Ebenso wie beim Filipino Rico aus "Starship Troopers" wird die Hautfarbe oder Abstammung hier als irrelevantes Merkmal dargestellt, nicht ganz ungefährlich für ein Kinderbuch der 50er. Robert James, PH.D., sagt dazu :
The evidence is slim but definite. First and foremost, outside of the text, there is a letter in which RAH firmly states that Rod is black, and that Johnny Rico is Filipino. As to the text itself, it is implied rather than overt. RAH often played games with the skin color of his characters, in what I see as a disarming tactic against racists who may come to identify with the hero, then realize later on that they have identified with somebody they supposedly hate. He does this in a number of different places. Part of this may also have to do with the publishing mores of the time, which probably would not have let him get away with making his main character black in a juvenile novel. The most telling evidence is that everybody in "Tunnel" expects Rod to end up with Caroline, who is explicitly described as black. While that expectation may seem somewhat racist to us today, it would be a firm hint to the mindset of the fifties, which would have been opposed to interracial marriages. I think RAH himself would have been infuriated by the suggestion that this was racist; indeed, I think it more likely that this was simply the easiest way to signal a reader from the fifties that he's been slipped a wonderful protagonist who is not white. I have taught this novel many times, and at least twice, a teenage student has asked me if Rod was black without me prompting the possibility whatsoever.Quelle
Ich persönlich halte diesen Roman für überaltert, viele der Details wie beispielsweise das Familienverhältnis von Rod Walker, die geopolitische Situation oder das Schulsystem sind vom heutigem Standpunkt aus absolut überholt. Nichtsdestotrotz langweilt der Roman nicht und hat (siehe oben) einige interessante Facetten. Meine Meinung deckt sich ziemlich genau mit der von Jo Walton : "I thoroughly enjoyed reading it again, and even the absurdities are vividly written."
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