Als multikulturell verblendeter Gutmensch erlaube ich mir nach den jüngsten Entwicklungen einige, man mag's kaum glauben, wohlüberlegte Anmerkungen, wie ich die Sache sehe, nach bestem Wissen und Gewissen. Man mag mich korrigieren, wo ich mich sachlich irre:
1) Die reflexartig vorgetragene Behauptung, daß die Charlie-Hebdo-Attentäter und ihre Bundesgenossen nichts mit dem Islam an sich zu tun haben, ist mindestens eine Beschönigung, wenn nicht rundheraus falsch. Sie verfolgen Ziele, die sich mit dem Koran und der islamischen Geschichte vereinbaren bzw. daraus begründen lassen. Ich halte nichts davon, den Propheten Mohammed, der nun einmal nicht nur ein Religionsstifter, sondern auch ein politischer und militärischer Führer mit Machtansprüchen war, zu einem Ausbund an Güte und Toleranz zu verniedlichen. Der Islam war von Anfang an eine militante Religion und hat erst Jahrhunderte nach der Religionsstiftung, in der islamisch-arabischen Blütezeit, einige für ihre Zeit ziemlich fortschrittliche und tolerante Gesellschaften hervorgebracht, denen der Westen zahlreiche kulturelle und wissenschaftliche Anregungen verdankt. (Beim Christentum war's umgekehrt, zunächst eine unterdrückte Minderheit und später ein eigener Machtfaktor mit gewaltsamen Missionierungsansprüchen.)
All das begründet natürlich keine Zwangsläufigkeit. Wie alle heiligen Bücher ist auch der Koran schwammig und widersprüchlich. Wenn ein Moslem ein zivlisiertes und menschenfreundliches Verhalten mit dem Koran begründet, soll uns das recht sein. Aber es wäre klüger, ehrlicher und im Eigeninteresse der friedfertigen Moslems, wenn sie ihrer eigenen Geschichte und dem heutigen Zustand der islamischen Welt klar ins Auge sehen und Stellung beziehen würden: Ja, leider, auch das ist der Islam - und dann durch praktisches Handeln beweisen, daß der Islam auch etwas anderes sein kann. Zweifelhafte Aktivitäten wie etwa die von Millî Görüş, selbst wenn sie keine direkten Gewalttaten begehen, sind dabei wenig hilfreich - und vertrauensstiftend schon gar nicht.
2) Unser Land ist historisch gebrandmarkt dadurch, daß es eine der schlimmsten faschistischen und rassistischen Diktaturen der Weltgeschichte hervorgebracht hat. Eine gesteigerte Sensibilität und Wachsamkeit gegenüber solchen Tendenzen, wo immer sie sich zeigen, scheint mir eine historische Verpflichtung zu sein. Aber es stimmt wohl, daß in Teilen des linken politischen Spektrums das Pendel ins entgegengesetzte Extrem ausgeschlagen ist und der Fehlschluß "Meines Feindes Feind ist mein Freund" verabsolutiert wurde: Aus dieser Perspektive kann das Fremde grundsätzlich nur Opfer, nie Täter sein; die geringste Kritik am Anderen, unabhängig von dessen Verhalten, wird als Diffamierung aufgefaßt. Ich finde, umgekehrt wird ein Schuh draus: Gerade nach der Erfahrung des Faschismus sollten wir klare Grenzen ziehen, was unsere zivilisatorischen Grundwerte angeht, und nicht jedem Heiopei erlauben, je nach Interessenlage daran herumzudeuteln (mag er nun für die NSA arbeiten oder für Millî Görüş). Ich versuche Leute nach den Folgen ihres Handelns zu beurteilen, nicht danach, ob sie meine Weltanschauung teilen. Wenn jemand ein traditionelles Familienleben mit Frau und Kindern führen will, dabei seine Familie anständig behandelt, ein friedlicher Mensch ist und niemandem seine Lebensweise aufzwingt - dann habe ich Respekt davor, auch wenn ich seinen Lebensentwurf nicht teile. Wenn andererseits stockreaktionäre islamische Familien, wie es sie in Deutschland nun einmal tatsächlich gibt, zwar von ihren Töchtern erwarten, daß sie jungfräulich in die Ehe gehen, aber nichts Ehrenrühriges daran finden, wenn ihre Söhne sich die Hörner an deutschen Mädchen abstoßen, die sie zum Dank als Huren beschimpfen - dann erlaube ich mir, solche Leute als verlogenes, bigottes Pack zu bezeichnen, dem ich es von Herzen wünsche, daß sie in unserer Gesellschaft an allen Ecken und Enden mit ihren Steinzeitschädeln gegen die Wand knallen. Gerade als multikulturell interessierter Mensch, der über die eurozentrische Sicht der Welt hinauszuwachsen versucht, sollte man sich Barbareien und Unmenschlichkeiten niemals als folkloristische Eigenarten unterjubeln lassen. In "multikulturell" steckt das Wort "Kultur". So etwas kann mit kultivierten und zivilisierten Menschen funktionieren (und ist selbst bei gutem Willen schwierig genug), nicht aber mit Idioten, Prolls und Unmenschen gleich welcher Coleur.
3) Ich habe selbst in Vierteln mit hohem Migrantenanteil (hauptsächlich Türken) gewohnt, zuletzt im Traditionsviertel Ölberg in Wuppertal-Elberfeld, und dabei keine schlechte Erfahrungen gemacht. Die Bewohner des Ölbergs sind etwa zu einem Drittel nicht-deutscher Herkunft, und das Zusammenleben geht friedlich und reibungslos vonstatten, ohne daß allzu enge Beziehungen zwischen den Ethnien bestehen. Da macht der mazedonische Imbißbuden-Inhaber mal einen Spruch über die Türken, aber das war's auch schon an Reibereien. Es scheint hier also etwas zu funktionieren, was in vielen Teilen unseres Landes - wenn man die Klagen von Mitbürgern ernst nimmt und nicht gleich verteufelt - schiefgeht. Ich bin noch nicht ganz dahinter gekommen, aber es würde mich nicht wundern, wenn es damit zu tun, daß die meisten Migranten auf dem Ölberg einen normalen Job haben, gut Deutsch können und sich reibungslos in die öffentliche Ordnung einfügen. Das ist offenbar, nach meinem besten Wissen und Gewissen, nicht überall der Fall, und mich interessieren die Gründe.
Es mangelt mir an nüchternen und von ideologischen Verzerrungen ungetrübten Bestandsaufnahmen, wie die Situation der Einwanderer in Deutschland ist, welche Gruppierungen welchen Einfluß haben und was politisch getan werden müßte, um zweifellos vorhandene Reibungen abzubauen. Pauschalverunglimpfungen deutscher Bürger - besonders durch Leute, die selber nicht in sozialen Brennpunkten zu leben gezwungen sind - sind dabei ebenso wenig hilfreich wie die naive Annahme, es werde sich schon alles von allein regeln und Gesellschaft wie Einwanderer müßten für ein friedliches Zusammenleben nicht eine aktive Leistung erbringen.
Einige Hinweise habe ich in Heinz Buschkowskys Buch "Neukölln ist überall" gefunden, das am Beispiel des Berliner Problembezirks, dessen Bürgermeister der Verfasser lange war, einleuchtend die sozialen Prozesse schildert, die dazu geführt haben, daß in ganzen Straßenzügen von Nord-Neukölln kaum noch jemand Deutsch spricht und Migranten-Familienclans versuchen, unabhängig von der deutschen Gesetzgebung, ihr eigenes Ding zu machen. Ich kenne solche Viertel aus eigener Erfahrung nicht und kann deshalb die Stichhaltigkeit seiner Analyse nicht direkt beurteilen, sollte sie aber zutreffen, ist entschlossenes Handeln angeraten und Schönreden wird die Sache nur verschlimmern. Ein aufschlußreiches Stichwort ist in diesem Zusammenhang Segregation, die Entmischung nicht nur von gesellschaftlichen Schichten sondern auch von Ethnien, verschärft durch die wirtschaftliche Situation und den ungeregelten, planlosen Zustrom von Einwanderern.
4) Zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme gehört aber auch, daß wir selbst, um ein Bibelwort zu gebrauchen, nicht bloß den Splitter im Auge des anderen, sondern auch den Balken im eigenen sehen. Und dabei wird man feststellen, daß Verlogenheit und Selbstbetrug kein Privileg der Moslems sind. Mich würde interessieren, wieviele von denen, die jetzt, in opportuner Betroffenheit, die Opfer von Paris betrauen, dieselben Herrschaften am liebsten auf den Mond geschossen oder mit einem Publikationsverbot belegt hätten, als sie den Papst aufs Korn genommen haben. Es kommt mir regelmäßig die Kotze, wenn ich in Fernsehdiskussionen stockreaktionäre Penner erlebe, die sich den Moslems gegenüber aufspielen, als hätten sie die Frauenemanzipation erfunden. Wenn es nach gewissen Kreisen in unserem Lande gegangen wäre, würden Frauen heute noch am Herd stehen, die Bude putzen, die Kinder aufziehen, den Mund halten und ihren Männer zu Diensten sein. Dieselben Leute aber sind heute, wenn sie eine Muslima mit Kopftuch sehen, auf einmal so feministisch, wie sie es nie waren, als sie noch das gesellschaftliche Übergewicht hatten. Wir sollten nicht vergessen, daß alle gesellschaftlichen Fortschritte im Westen, teils in jahrzehnte- bis jahrhundertelangen Prozessen, gegen den Widerstand klerikal-konservativer Mächte durchgesetzt werden mußten. Es ist immer lustig zu beobachten, wenn Leute genau die Reformen, gegen die sie sich mit Händen und Füßen gesträubt haben, nachträglich als ihren Verdienst reklamieren. (Es werden noch Wetten angenommen, in welchem Jahr sich die katholische Kirche zum Befreier der Homosexuellen erklären wird.)
Niemand kann etwas dafür, was die eigene gesellschaftliche Gruppierung oder Religionsgemeinschaft vor der eigenen Geburt verbockt hat. Man kann aber die geistige Unabhängigkeit entwickeln, der Geschichte, dessen Sproß man ist, unbestechlich ins Auge zu sehen und daraus Schlüsse für die Zukunft zu ziehen.
5) Zur Wirtschafts-, Sicherheits- und Außenpolitik des Westens könnte man einiges anmerken, und ich sehe darin einen Faktor, der den islamischen Extremismus mindestens begünstigt hat. Aber es gibt auch eine andere Seite der Medaille: Einwanderern werden bei uns auf dem silbernen Tablett Rechte serviert, die sie sich in anderen Teilen der Welt erst noch erkämpfen müßten. Millionen Kinder auf der Welt würden alles dafür geben, um eine Schule besuchen zu können. Wenn nun Familien die allgemeine Schulpflicht, die keine Zumutung, sondern ein Geschenk ist, dadurch torpedieren, daß sie ihren Kindern die geltende Amts- und Schulsprache nicht beibringen (oder beibringen lassen), ist das ein Schlag ins Gesicht für kommende Generationen, die hier einmal zusammenleben sollen. Ähnlich verhält es sich mit der Religionsfreiheit. Der Preis für die Freiheit, ohne Angst vor Verfolgung jedem noch so absonderlichen Aberglauben nachgehen zu können, ist eben der, daß man - solang einem kein handgreiflicher Schaden zugefügt wird - auch Kritik, Spott und Ablehnung ertragen muß. Man hat immerhin das Recht zur Gegenrede oder die Möglichkeit, dem anderen aus dem Weg zu gehen oder ihm zu sagen, daß man ihn für ein Arschloch hält. Wer für die eigene gesellschaftliche Gruppe Sonderrechte beansprucht - z.B. Strafverfolgung dessen, was er aus seiner jeweiligen Sicht als gotteslästerlich ansieht -, unterminiert damit genau die Freiheiten einer säkularen Gesellschaft, die er selbst gern in Anspruch nimmt.
Die Angriffe auf die Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit, die in Paris blutige Formen angenommen haben, finden aus verschiedenen Richtungen statt. Die verdeckten, unterschwelligen Angriffe beunruhigen mich dabei kaum weniger als die Gewalt der Fanatiker.
Wer mehr von Michael K. Iwoleit lesen will, dem sei "Psyhack" oder die Kurzgeschichtensammlung "Die letzten Tage der Ewigkeit" empfohlen.
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