Dienstag, 17. Juli 2012
Pierre Bordage : Die Krieger der Stille
Pierre Bordage : Die Krieger der Stille
Die Krieger der Stille (Les guerriers du silence, F 1993)
Terra Mater (Terra Mater, F 1994)
Die Sternenzitadelle (La Citadelle Hyponéros, F 1995)
Paperbackausgabe Heyne 2007-2010, 16 €
Taschenbuchausgabe Heyne 2012, 10 €
Bordage ist kein Amerikaner.
Was sich zunächst wie eine triviale Platitüde liest, enthält beim genaueren Hinsehen eine extreme Tiefe und erklärt zum Beispiel die unterschiedliche Rezeption seiner Romane in Frankreich und Deutschland.
Die "Gründerväter" der amerikanischen SF in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts waren deutlich Kinder ihrer Zeit. Der vor Vietnam in den Staaten fest verwurzelte Fortschrittsglaube wurde durch keine Kritik, kein Hinterfragen, auch nur ansatzweise getrübt. Wenn auch selbst die Schriftsteller des Golden Age Zweifel an der Kompetenz ihrer Mitmenschen hatten (Heinlein ist hier ein gutes Beispiel), so waren sie doch alle grundsätzlich der Ansicht, daß genügend Ausnahmeindividuen existieren würden, um die Menschheit auf rauhen Pfaden zu den Sternen zu führen. Und daß die technologische Entwicklung diesen Ausnahmemenschen dabei helfen würde. Dabei wurden auch keine Grenzen des Machbaren gesehen, man denke nur an die Romane eines Alfred Elton van Vogt oder Frank Herbert. Und wenn auch die Zeitläufte durchaus kritische Stimmen in der angloamerikanischen SF erzeugt haben, so bleibt doch bis heute der Fortschrittsglaube ungebrochen. Der Glaube, daß technologischen Innovationen keine Grenzen gesetzt sind, schimmert auch heutzutage selbst in technikkritischen Romanen durch. Und ist überall das Leitmotiv. Denn kein angloamerikanischer Roman ist denkbar ohne eine logische naturwissenschaftlich-technische Erklärung der benutzten Zukunftstechnik. Jede Abweichung von diesem Prinzip führt zur abqualifizierenden "Das ist ja Fantasy, keine SF"-Wertung. Paradebeispiel für diese Sichtweise angloamerikanisch geprägter SF-Fans ist die Wertung von "Star Wars" als Fantasy, weil die Macht der Jedi nicht rational erklärt wurde. (Dies zwang dann Lucas zur Einführung der Midichlorianer und zur Demontage seiner eigentlichen Vorstellung der "Star Wars"-Saga.)
Die gilt für die angloamerikanische SF ebenso wie für die SF aus stark amerikanisch beeinflussten Staaten. Bzw. die Rezeption der SF in derartigen Ländern. Wie zum Beispiel Deutschland. Bereits in der Vorkriegszeit bestand eine stark naturwissenschaftlich-technisch orientierte Grundstimmung bei deutschen "utopischen Romanen". Durch die Besetzung der Amerikaner nach dem II. Weltkrieg wurde dieses "nüchterne" Denken in der Literatur, speziell der SF-Literatur, noch deutlich verstärkt. Der Erfolg von daraus hervorgegangenen technisch orientierten Serien wie "Perry Rhodan", "ZBV", "Ren Dhark" oder, im Fernsehen, "Raumpatrouille Orion" prägte Generationen und wirkt bis heute, ein halbes Jahrhundert später, nach. Dazu kam ein extrem starker Einfluß der "rationalen SF" durch Übersetzungen aus dem angloamerikanischem Raum, die über Jahrzehnte das Bild der SF in Deutschland prägten.
Im Gegensatz zu Deutschland ist (beispielsweise) Frankreich deutlich weniger durch "die Amerikaner" beeinflusst. Allein schon dadurch, daß keine amerikanische Besetzung stattfand (warum auch) und kein Wiederaufbau wie in Deutschland notwendig war. "Wiederaufbau" meine ich da weniger im Sinne der Reparatur von Kriegsschäden als im Sinne eine notwendigen Neustrukturierung der Gesellschaft, wie es in Deutschland unumgänglich war. Wenn auch die Legende der "Resistance" meiner Meinung nach deutlich übertrieben ist, so blieben doch die grundsätzlichen gesellschaftichen Strukturen in Frankreich vom Faschismus verschont, so daß das Leben in Frankreich nach dem Krieg prinzipiell unverändert weiterging und insbesondere Geschichte und Kultur ungebrochen weiterliefen.
In Deutschland ist es unmöglich, sich auf die "Edda" zu berufen. Selbst rudimentärste Schwenks in diese Richtung werden kritisch gesehen. So wurde beispielsweise vor Jahren auf einem Briefmarkenbogen absolut unverfängliche Runen abgedruckt, was prompt zu kritischen Kommentaren und zu einer Zweitauflage führte ("Heine"-Bogen). Dieser Teil unserer Geschichte ist von den Nazis einfach "verbrannt", ebenso wie eigentlich alle heroischen Epen der Vergangenheit (Siegfried, Roland, Barbarossa). Im Gegensatz dazu hat Frankreich kein Problem mit den Heldensagen ihrer Geschichte, insbesondere nicht mit mittelalterlichen Ritterepen.
Und genau das ist der Zyklus über die "Krieger der Stille" : Eine mittelalterliche Queste in die Ferne Zukunft projiziert. Die Menschheit hat sich ins All ausgebreitet, tausende von Jahren sind vergangen, Terra Mater, der Ursprungsplanet, ist eine Einöde, nur noch von Primitiven bewohnt. Die Menschen teleportieren sich mit Maschinen durchs Weltall, die unterschiedlichen Gesellschaftsformen der verschiedensten Planeten werden durch die Naflinische Konföderation zusammengehalten, deren Einhaltung durch die Krieger der Stille garantiert wird. Diese Krieger haben sich auf die Entwicklung des menschlichen Geistes konzentriert und ungeahnte Fähigkeiten entwickelt. Sie sind die Speerspitze der menschlichen Evolution. Doch wie jedes Licht auch seinen eigenen Schatten erzeugt, existiert als Konterpart der Krieger der Stille das Blouf, das die menschlichen Innovationen unterdrücken und die Menschen ausrotten will. Verkörpert wird es durch Künstliche Intelligenzen, Computer und Roboter, die die Menschheit ganz bewusst abgeschafft und verschrottet hat. Auf dem Planeten Hyponeros im Zentrum der Galaxis werden Androiden, die Scaythen, geschaffen, die, ähnlich den Kriegern der Stille, durch Gedankenkraft töten können. Zusammen mit den Adeligen von Syracuse und der Kirche des Kreuzes ersetzen sie die Naflinische Konföderation durch das Angsche Imperium, töten die Krieger der Stille und errichten eine Schreckensherrschaft. Die Tochter des letzten Indikkischen Meisters und ein Tumber Tor namens Tixu Oty sind dann die Kernzelle, die die Krieger der Stille wiederherstellen, der Herrschaft des Blouf ein Ende bereiten und das Potential der Menschheit, die Indikkischen Annalen, vor der Zerstörung schützen.
"Eine epische Wucht, die ihresgleichen sucht - es wäre ein Fehler, Pierre Bordage nicht zu lesen !" Soweit Andreas Eschbach, der im Klappentext zitiert wird. Wüsste ich nicht, daß Andreas nur seine tatsächliche Meinung für solche Klappentexte zur Verfügung stellt, würde ich dies als billige Werbung betrachten. Aber es ist nicht unbedingt verwunderlich, daß einem Autor wie Andreas Eschbach dieses Buch gefällt, denn er lebt in Frankreich und ist in der französchen SF-Szene ebenso zuhause wie in der deutschen. Man muß ein Faible für den nicht-amerikanischen, nicht-technikorientierten Stil von Pierre Bordage haben, um sein Erstlingswerk zu mögen. Ich habe dies (ich lese außerdem auch Fantasy), von daher kann ich im Gegensatz zu vielen deutschen reinen Hardcore-SF-Fans die epische Wucht, die Andreas anspricht, nur bestätigen. Es war für mich ein Genuß, diese Romane zu lesen, insbesondere als ich, wieder im Gegensatz zu deutschen SF-Fans, gänzlich andere Vorläufer dieser Trilogie fand, als "Dune" oder Simmons. Diese Analogieschlüsse entbehren jeder Grundlage und zeigen nur die Fixierung auf angloamerikanische SF des deutschen Fandoms.
Nein, die Geschichten um die Krieger der Stille haben Athos, Porthos, Aramis und D'Artagnan als Vorläufer, sogar der Kardinal hat seine Entsprechung im Roman. Und genauso, wie ich die "Drei Musketiere" und die beiden Folgeromane immer gerne gelesen habe und sie auch sauber bei mir im Regal stehen (und natürlich habe ich auch die DVDs), genauso habe ich die "Krieger der Stille" genossen. Die Geschichte wird nicht langweilig, gerade beim ersten Lesen war ich an vielen Stellen fasziniert von den für mich überraschenden Wendungen. Je weiter man auch in der Geschichte fortschreitet, desto mehr entfernt sie sich vom SF-Mainstream und desto stärker werden die Anklänge an klassische Epen des Mittelalters. Insbesondere die Phantastik und die Nicht-Erklärung technischer Zusammenhänge wird im Verlaufe der Trilogie immer stärker und, um im Eschbachschen Bild zu bleiben, immer wuchtiger.
Dies ist nicht jedermanns Sache, die Geschichte ist gänzlich anders, als man es normalerweise von der SF gewohnt ist. Von daher kann ich jeden bis zu einem gewissem Grad verstehen, wenn er diesen Stil ablehnt. Das heisst aber lange noch nicht, daß Pierre Bordage schlechte SF schreibt, das heisst nur, daß die eigene Leseerfahrung dafür nicht ausreicht. Ich jedenfalls habe die Trilogie genossen und kann sie jedem nur warm ans Herz legen.
Noch eines zu den Preisen : Sie sind wieder einmal brutale Abzocke. Seit Jahren wird SF&F-Fans das Geld aus der Tasche gezogen, um "hochliterarischen" Schrott querzusubventionieren. Man vergleiche nur einmal die Preise der SF&F-Büchern mit Krimis oder Western desselben Verlages oder, was noch viel heftiger ist, mit den Mini-Auflagen der Kleinverlage. Atlantis Hardcover kosten den Endverbraucher nicht mehr als die obigen Paperbacks, sind in der Herstellung aber mindestens doppelt so teuer. Daß dann als Taschenbuch nochmals ein dreiste Abzocke versucht wird (denn 10 € für ein TaBu sind schon ganz schön heftig), setzt dem Faß die Krone auf. Ich finde es jedenfalls zum Kotzen.
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