Sonntag, 18. Dezember 2011

SFCD Story-Center 2010


Michael Haitel (Hrsg.) : Inzucht und die denkbare Gesellschaft
SFCD Story-Center 2010
p.machinery 2010
350 Seiten


Jedes Jahr gibt der SFCD einen Band mit Kurzgeschichten heraus, das Story-Center. Dieses Jahr ist es im Rahmen der Reihe "AnfroSF" als Band 12 in Form eines sehr schön aussehenden Taschenbuchs erschienen. Als Thema wurde "Inzucht" gewählt, was ich persönlich für einen Fehler halte. Denn bei diesem Begriff drängen sich (mir zumindestens) sofort gewisse Standards auf, aber vielleicht habe ich zuviel SF gelesen ? Keine Ahnung, mir kam auf jeden Fall Vieles ziemlich vorhersehbar vor. Auch hat mich die doch sehr unterschiedliche Qualität der Erzählungen gestört, hier wäre weniger mehr gewesen. Also weniger Stories, dafür deutlich ausgesuchter und wählerischer. Die Geschichten im Einzelnen :

Arndt Waßmann : Die Kinder der Zukunft
Nach dem III. Weltkrieg ist Inzucht wg. Fortpflanzung notwendig.
Erwarteter Standard

Frederic Brake : Stammesriten
Wissenschaftler der Jetztzeit haben eine Methode entwickelt, die Vergangenheit eines Menschen (oder eines Teils davon) sichtbar zu machen. Angewandt auf fossile Neandertaler-Knochen wird deutlich, daß Inzucht zu ihrem Aussterben geführt hat.
Eine bedeutende SF-Story, die sich gegen Provinzialismus und Nationalstolz wendet. Ein Kontrapunkt zu dem Begriff "Barbar". Flüssig und leidlich spannend geschrieben halte ich sie für lesenswert.

Marianne Labisch : Neubeginn?
Nach dem III. Weltkrieg werden zwei Inzucht-Gesellschaften, genetische Säufer und genetische Nicht-Säufer, gebildet. Vor diesem Hintergrund spielt eine Liebesgeschichte.
Langweilig

Jutta Schönberg : Die Außenseiterin
Drei voneinander getrennte Gesellschaften können nur durch Mischehen überleben.
Schmonzette im Stil der Biss-Romane, nichts, das man lesen muß

Matthias Falke : Das Zeit-Bran
Nach einer Zeitreise schläft ein Mann mit seiner eigenen Tochter.
Ebenfalls Standard, allerdings sehr gut erzählt.

Holger Mossakowski : SaveTheWorld Unlimited
Mittels Inzucht gezüchtete Mutanten retten die Welt.
Standard. Allerdings muß man konstatieren, daß der Autor noch nicht einmal "Flowers for Algernon" zu kennen scheint.

M. E. Rehor : Outcasts
Verrückter Wissenschaftler besiegt den Schnupfen und schleust seine Gene in die gesamte Menschheit ein.
Inhaltlich 08/15-Standard, handwerklich aber sehr gut geschrieben. Von daher durchaus lesenswert, den Autor sollte man sich merken.

Abel Inkun : Kinder des Mondes
Die Menschheit auf der Erde stirbt durch Upload aus, nur die Mondkolonie überlebt durch Inzucht.
Standard, ganz nett erzählt.

C. J. Knittel : Die Geächteten von Canopus 3
Überlebende eines angestürzten Siedlerschiffes überleben nur durch Inzucht. Dafür werden sie vom Militär, daß sie nach 300 Jahren wiederfindet, umgebracht.
Eine gute Geschichte. Nicht brilliant, nicht überragend, aber sehr solide. Der Hintergrund bleibt zwar etwas diffus, aber das tut der Geschichte keinen Abbruch. Was mir aber bei der Story auffiel, war das sehr stark an Orion erinnernde erste Kapitel.

Mark-Denis Leitner : Aufbruch der Gestrandeten
Ein unsterblicher gestrandeter Raumfahrer kümmert sich um eine Kolonie von Androiden.
Ebenfalls eine gute Story. Es fehlt dem Autor zwar noch ein bißchen an der Präzision der Aussage, aber abgesehen davon hat mir die Story sehr gut gefallen.

Carmen Meyer : Exzest
Im 31. Jahrhundert darf man nur noch innerhalb der Familie heiraten, alles andere ist gesellschaftlich verpönt. Ein Dörfler heiratet außerhalb und die Liebenden sterben im Laufe ihres Lebens, sie werden auf jeden Fall nicht glücklich.
Nettes Treatment, hätte man ausführen sollen. Aber so ist diese Story ein reines "Tell, don't show", überflüssig und langweilig.

Sigrid Lenz : Meias Geheimnis
Meia darf nur ihren Bruder heiraten, der liebt aber seinen Freund und letzterer hat bei einem Gangbang Meia geschwängert. Jetzt ist Meia ganz ängstlich, daß dies aufgedeckt wird.
Ebenfalls eine Story aus der "Tell, don't show"-Ecke, ebenfalls überflüssig und langweilig.

Carmen Matthes : Das dunkle Geheimnis
246 Jahre nach der Evakuierung einer Insel wegen Umweltschäden leben hier immer noch die Nachkommen eines dickschädeligen Arztes. Von zwei Plünderern auf der Suche nach Antiquitäten werden sie vor dem drohenden Gehirnzerfall gerettet.
Gut geschrieben, sehr flüssig erzählt, aber irgendwie fehlt die Aussage der Story.

Sven Klöpping : Die Suchtmaschine
Mann poppt im Kino der Zukunft seine Schwester, obwohl das seit kurzem verboten ist.
Nicht mein Geschmack. Überhaupt nicht mein Geschmack, dieser Stil. Aber zweifelsohne gut geschrieben, sehr eindringlich. Empfehlenswert.

Elisabeth Meister : Hochzeitstag
Nach der Großen Katastrophe lebt ein Teil der Menschen im Bunker. Geheiratet wird nach einer genetischen Analyse zwischen Bruder und Schwester. Als ihr Cousin sie vergewaltigen will, flüchtet Alina nach Draußen, zu den Mutanten.
Sehr gute Geschichte, packend erzählt. Allerdings sehr vorhersehbar und ohne Überraschungen. Das tut allerdings dem Lesevergnügen keinen Abbruch.

Arno Endler : Nicht von dieser Zone
Siedler auf einem neuen Planeten haben sich in Zonen arrangiert. Mitglieder verschiedener Zonen können sich nicht riechen, müssen von daher innerhalb ihrer Zone heiraten. Olahn und Fina erleben vor diesem Hintergrund eine tragische Liebesgeschichte.
Der erste wirklich originelle Ansatz dieser Anthologie. Auch gut geschrieben und spannend erzählt. Allerdings habe ich es vor dreißig Jahren als "La Voix du loup" schon so brilliant erzählt bekommen, daß Arno Endlers Story davor doch deutlich verblasst. Wer allerdings diese französische Story nicht kennt, kommt voll auf seine Kosten.

Friedhelm Rudolph : Alles ist gut
Eine Liebesgeschichte in einer Inzucht-orientierten Zukunft.
Handwerklich ok, allerdings frage ich mich, was die Geschichte soll. Ich fand sie ziemlich uninspiriert.

Galax Acheronian : Familienbande
Terraner retten Außerirdische - woraufhin zwei vollkommen unterschiedliche ethische Wertesysteme zum Tragen kommen.
Bei diesem Autoren-Pseudonym kann die Geschichte eigentlich nur bescheuert sein - dachte ich. Stattdessen lese ich hier SF vom Feinsten. Lieber Galax, bring' doch meine Vorurteile nicht so durcheinander ! Aber ernsthaft : Hier werden zwei evolutionsbiologisch wohlbegründete, jedoch vollkommen konträre ethische und moralische Wertesysteme dargestellt, ohne daß der moralische Zeigefinger irgendwo erscheint. Dem Autor gelingt es sogar, sich eindeutig für das menschliche Wertesystem auszusprechen, ohne das außerirdische zu verurteilen. Die Geschichte kommt bei einer Konfrontation zweier Kulturen ohne Action in Form von Raumschlachten o.ä. aus, das ist für mich das Tüpfelchen auf dem "i". Lesenswert, eventuell sogar preiswürdig.

Vincent Voß : Danach
Menschen werden zu Zombies, nur Inzucht ergibt gesunde Kinder.
Wieder bis zu einem gewissem Grad Standard, jedoch recht gut geschrieben mit ziemlich gut dargestellten Protagonisten. Allerdings entgeht mir so ein bißchen die Logik der Geschichte.


Fazit : Eine optisch gut aussehende Anthologie wie alles, was aus der Haitel-Schmiede kommt. Allerdings mit starken inhaltlichen Mängeln, viele dieser Fan-Stories sind reine Lesezeitverschwendung. Hier hätte ein inhaltliches Lektorat der Qualität der Anthologie sehr gut getan, ich kann auf jeden Fall die Arbeit von Heidrun Jänchen und Armin Rößler bei den Wurdack-Anthologien jetzt (noch) besser würdigen. Bei der Masse an Standard-Erzählungen und Inzeßt- statt Inzucht-Stories stellt sich auch die Frage, ob das Thema wirklich so ergiebig ist, wie es sich im ersten Ansatz darstellte.

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