Samstag, 17. Dezember 2011
Christian von Ditfurth : Der 21. Juli
Christian von Ditfurth : Der 21. Juli
Geest-Verlag Vechta, 2011
491 Seiten
ISBN 978-3-86685-293-8
Das Attentat auf Hitler war ein Erfolg, Coerdeler und die SS unter Himmler haben die Macht übernommen. Doch von allen Seiten wird Deutschland von den Alliierten bedrängt, die Invasion in der Normandie ist ein weiterer Rückschlag für die neue Regierung. Fieberhaft bauen Heisenberg und Eizsäcker an der Atombombe, während die in die USA emigrierten deutschen Wissenschaftler die Arbeit am Manhattan-Projekt einstellen. 1945 haben sie Erfolg, die erste Atombombe der Welt wird auf Minsk abgeworfen. Aus Angst vor weiteren Atomschlägen stimmen die Alliierten einem Waffenstillstand mit Deutschland in den Grenzen von 1940 zu.
Acht Jahre später, 1953 : Neben Amerika und der Sowjetunion ist Deutschland die dritte Weltmacht. Der Mord an Millionen von Juden, Zigeunern und sonstige mißliebigen Menschen wurde vertuscht, die Presse ist immer noch gleichgeschaltet, Himmler zusammen mit der SS der eigentliche Machthaber Deutschlands. Goebbels schreibt im Gefängnis, wie es wirklich war, Reichspräsident Göring ist machtlos und dem Kokain vollständig verfallen, Reichkanzler Goerdeler zum Repräsentanten ohne Kompetenzen degradiert. Schellenberg ist Chef des SD, während Gestapo-Chef Müller sich nach Rußland abgesetzt hat. In der SU tobt nach dem Tod von Stalin im ZK ein Machtkampf zwischen Berija und Chruschtschow. In dieser Situation versuchen Schellenberg und Himmler, die Patt-Situation der drei Weltmächte zu durchbrechen und zusammen mit Berija eine Koalition gegen Amerika zusammenzubringen.
All dies wird erzählt aus der Perspektive Knut Werdins, eines Majors des deutschen SD, Spion für Moskau, Überläufer zu den Amerikanern. Die russische Seite wird wiedergegeben durch Oberst Grusewitsch, einen echten Kriegshelden, der in die Wirren der Politik geriet und zum Chef der Spionageabwehr des NKWD berufen wurde. An ihren Gedanken und Erlebnissen hängt von Ditfurth die gesamte alternativhistorische Geschichte auf, durch sie gibt er seinen (bitteren) Kommentar zu Legenden wie der Fama der Helden des 20. Juli ab.
Dies ist kein nettes Buch, es gibt keine Helden, nur Menschen und Allzumenschliches. Deutlich stellt von Ditfurth heraus, daß die Widerstandsgruppen des 20. Juli keineswegs strahlende Helden waren, sondern in der Nachkriegszeit diesen verklärten Nimbus angedichtet bekamen. Ebenso macht er unzweideutig klar, daß der Faschismus des Hitler-Regimes vom ganzen deutschen Volk getragen wurde und nicht nur von einer kleinen herrschenden Clique. Aber das, was mir am Besten an diesem Buch gefallen hat, ist nicht die Beschreibung Nazideutschlands, sondern die Darstellung eines unbesiegten Nachkriegsdeutschlands, in dem Heuchelei, Lügen, Propaganda des III. Reichs unbeeinflusst weiterleben und von den Regierenden als auch den Regierten kultiviert und ausgebaut werden. Der Befreiungsschlag, den der Sieg der Alliierten für Deutschland darstellte, hat nicht stattgefunden, der Weg in die Freiheit ist dem unbesiegtem Deutschland versperrt.
Ich halte dies für ein wichtiges Buch. Daß es sich gut, flüssig und spannend liest, ist ein angenehmer Nebeneffekt. Die Gesellschaftskritik auch und gerade des Deutschlands des ausgehenden letzten Jahrtausends, die ich hier nur rudimentärst anreissen kann, ist die Hauptsache und hat mich in dieser Form begeisteret. Wer Hans Hellmut Kirst oder Siegfried Lenz mag, sollte am "21. Juli" nicht vorbeigehen.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen