Oliver Henkel : Die Fahrt des LEVIATHAN
Atlantis 2012
A5 Paperback, ca. 580 Seiten
ISBN 978-3-941258-26-6
auch als Hardcover erhältlich
Leseprobe bei Atlantis
Wilhelm Pfeyfer, Major und Kommandant des Militär-Sicherheits-Detachements in der Hauptstadt von Preußens einziger amerikanischer Provinz Karolina, dem einstigen South Carolina, wird zur Aufklärung eines Falles herangezogen, der so gar nicht seiner Stellung gerecht wird: Die Great Eastern, das bei Weitem größte Schiff seiner Zeit, streift einen Felsen und wird leckgeschlagen, und das mit dem preußischen König an Bord - ein Attentatsversuch? Pfeyfer und das Schiff geraten in die Wirrungen des Sezessionskrieges. Die Nordstaaten haben weit mehr Mühe, die Insurgenten zurück in die Union zu holen, als ihnen lieb ist. Die konföderierten Sklavenhalterstaaten hingegen leiden ohne die gewohnte Ausfuhr von Baumwolle und Tabak große Not. Da bietet ein undurchsichtiger Vertreter eines europäischen Landes gegen eine Gefälligkeit an, den Südstaaten Ausrüstung und Waffen zu liefern. Die Great Eastern kommt als Transportschiff wie gerufen. Das Schicksal scheint sich zugunsten des Südens zu neigen ...(Klappentext)
Preussisch-Karolina ist nie South Carolina geworden, Charleston heisst immer noch Fredericksburg. In diesem Ambiente erzählt Oliver Henkel die Geschichte von Wilhelm von Pfeyfer, einem schwarzem Adeligen, während des Sezessionskriegs.
Dieses Buch habe ich mit großen Vorbehalten begonnen. Als Western- und John Wayne-Fan ist mir das reale Setting durchaus geläufig und es ist meiner Meinung nach eminent schwierig, hier einen in sich konsistenten und der Zeit angemessenen Parallelweltroman zu schreiben. Früher habe ich Westernromane in Massen konsumiert, heute konzentriere ich mich mehr auf Filme. Aber auch wenn ich nur einige wenige ausgewählte Western-Romane behalten habe (etwa die von Robert Ervin Howard), so sind mir die Konventionen des Westerns doch immer noch sehr präsent.
Das gleiche gilt für historische Romane, die ich bis heute gerne lese, von Heinrich Manns "Henri IV." bis hin zu James Micheners "Colorado Saga". Ganz zu schweigen von meinem Hang zu Kitsch, der sich etwa im mehrfachen Sehen und Lesen von "Gone with the Wind" austobt. Ich hatte also aus meiner persönlichen Lese-Vita heraus bereits von Anfang an eine kritische Sicht auf diesen Alternate History-Roman.
Ich wurde allerdings positiv enttäuscht, der "Leviathan" liest sich auch mit detailierteren Genre-Kenntnissen sehr angenehm. Oliver Henkel gelingt es, die aus der Abweichung zur realen Welt sich teilweise zwingend ergebenden Unterschiede plastisch herauszuarbeiten und den Leser in eine oberflächlich konsistente andere welt zu entführen. Dabei konzentriert sich Henkel auf einige wenige Eckpunkte, hauptsächlich auf die andere Stellung der Neger in Karolina, den wirtschaftlichen Einfluß der Sezession auf diesen preussischen Fremdkörper inmitten der Südstaaten und die daraus resultierenden Spannungen in der karolinischen Bevölkerung. Alltägliche Details, die den Unterschied zur Realität noch betonen würden, bleiben außen vor.
Ein besonderer Charme dieses Romans liegt im Plädoyer für Rassengleichheit und Freiheit. Das zentrale Thema des Romans ist die Gleichberechtigung der Farbigen in Karolina im Gegensatz zur Sklavenhaltermentalität der Südstaaten. Auf der Seite der Freiheit steht Wilhelm von Pfeyfer, dessen Vater in den Unabhängigkeitskriegen vom damaligem preussischen König geadelt wurde. Gelungen stellt Henkel den ganzen Roman über diesem treudeutschen Namen die Tatsache gegenüber, daß Pfeyfer ein Farbiger ist. Dieser Gegensatz bewirkt beim Leser mehr als alles andere die Übernahme des Standpunktes des Autors, der sich schlicht weigert, aus einer anderen Hautfarbe irgendwie geartete sonstige Unterschiede herzuleiten.
Nicht gefallen hat mir im Gegensatz dazu die Darstellung der weiblichen Protagonistinnen. Hier versucht Henkel eine ähnliche Lanze für die Emanzipation zu brechen. Dabei vergalloppiert er sich jedoch, stellt unmotiviert seine Heldinnen emanzipierter dar, als sie in das damalige Geschichtsbild als auch die Gesellschaft hineinpassen. Ebenso bleibt unklar, warum das antisemitische Preußen eigentlich Indianern und ehemaligen Sklaven derartige Freiheiten gewährt, hier besteht ein erheblicher Erklärungsbedarf. Dies fällt allerdings nur auf, wenn man sich intensiver mit dem Thema beschäftigt hat, der unbedarfte Leser wird derartiges nicht bemerken und als ganz normal, der Moderne angepasst, bewerten.
Insgesamt ist "Die Fahrt des Leviathan" eine gelungene Alternate History, stilistisch ansprechend geschrieben, inhaltlich nicht trivial, die man unbesorgt weiterempfehlen kann. Trotzdem ist dies für mich kein Nominierungskandidat für den diesjährigen DSFP. Und zwar deshalb, weil es für mich keine SF darstellt. Zur SF, mag man dieses Kürzel mit Science, Social oder Speculative Fiction übersetzen, gehört eine solche Alternativweltengeschichte nur dogmatisch, nicht inhaltlich. Wie mir schon bei der Lektüre des "21. Juli" aufgefallen ist, gehören wirklich gute Romane dieses Typs eher zum Gesellschaftsroman als zur SF. Ditfurths "21. Juli" beispielsweise ist mehr mit den 08/15-Romanen von Hans Hellmut Kirst verwandt als mit der Gesellschaftskritik etwa eines John Brunner. Und ebenso ist der "Leviathan" eher verwandt mit den Amerika-Romanen von James Michener als mit den ein ähnliches Thema behandelnden Romanen von Harry Harrison. Hier fehlt mir einfach das SF-typische Element.
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