Donnerstag, 10. Dezember 2015

NOVA #23



Olaf G. Hilscher / Michael K. Iwoleit (Hrsg.) : Nova 23
Amrûn 07/2015
Originalausgabe
Taschenbuch, 191 Seiten, 12,80 €
Titelbild : Dirk Berger


Eine Musik-thematische Ausgabe des NOVA-Magazins. Da bin ich mal gespannt.

Franz Rottensteiner: Musik & SF
Franz Rottensteiner bringt einen komprimierten, aber relativ vollständigen Überblick über das Thema. In Anbetracht dessen, daß weiter hinten im Magazin noch eine wissenschaftliche Arbeit dazu abgedruckt ist, ist diese kondensierte Sicht der Dinge das Maximum, das man an dieser Stelle bringen kann. Eine Detaillierung wäre deutlichst umfangreicher und würde praktisch eine eigene Magazin-Ausgabe darstellen, was Rottensteiner sehr schön mit der SFE belegt. Uwe Post weist allerdings zu Recht darauf hin, daß moderne SF – wie etwa sein Roman "SchrottT" – nicht berücksichtigt wurde.

Marcus Hammerschmitt: In Wien ist die Musik
Wenn alle mögliche Musik gespielt wurde, ist der Weltuntergang da.
Eine Idee aus den 50ern, lahm in das zweite Jahrzehnt des neuen Jahrtausend transportiert. Kein Einzelfall in dieser Anthologie - und kein Ruhmesblatt für die NOVA-Edition.

Gabriele Behrend : Tremolo
Musik wird auf einer Frau geschrieben, die auf der Bühne entweder von anderen oder sich selbst sexuell befriedigt wird und deren Gefühle in Musik umgesetzt werden.
Kindischer Blümchen-Sex auf Edward-und-Bella-Niveau. Die Geschichte orientiert sich rein auf das Körperliche, weniger auf die (psychologische) Beziehung zwischen den beiden Protagonisten. Die Musik, das eigentliche Thema der Anthologie, ist rein aufgesetzt und hätte durch jedes andere Medium, jede andere Darstellungsform ersetzt werden können, ohne daß die Geschichte darunter leidet oder sich ändert. Eine verschenkte Möglichkeit.

Marc Späni : Dr. Kojimas Cyber-Symphonic Orchstra
Musiker werden gekidnapped und zu einem Cyborg-Orchester umgebaut.
Langweilig und voraussehbar. Und – was mich am meisten nervte – in dieser oder ähnlicher Form bereits vor einem halben Jahrhundert veröffentlicht worden. Kann man vergessen, die Story.

Karsten Kruschel : Was geschieht dem Licht am Ende des Tunnels?
In der Nahen Zukunft werden Müllhalden von Bergleuten zur Rohstoffgewinnung durchgesucht. Doch es haben sich dort Wesen entwickelt...
Ich enthalte mich hier einmal einer Wertung. Denn einerseits ist die Geschichte schön mit sehr glaubhaften Protagonisten und sehr flüssig geschrieben. Andererseits habe ich diesen oder einen ähnlichen Plot erst letztens gelesen, da war irgendwas mit Zwergen. Unverständlich war mir der musikalische Zusammenhang, den ich als sehr aufgesetzt empfand. Auf SF-Fan sagte Karsten Kruschel, seine Intention sei gewesen, die Musik als sich verselbstständigende Wesen darzustellen. Das ist zumindestens bei mir nicht angekommen, meiner Meinung nach hätte diese Story ein besseres Lektorat verdient.

Norbert Stöbe : Shamané
Das Leben eines Musikers – von der ersten Inspiration bis zu seinem Abgang von der Bühne.
Stöbe ist keiner meiner Lieblingsschriftsteller. Die letzten Sachen, die ich von ihm las, waren durch die Bank weg ziemlich suboptimal. Und so ging ich ziemlich skeptisch an diese Story heran.
Sie ist gewaltig. Eine der besten Kurzgeschichten, die ich in den letzten Jahren gelsen habe. Stöbe gelingt es, seine(n) Protagonisten kurz, aber unheimlich präzise und realistisch einzuführen. Diese Realitätsnähe und Präzision der Darstellung bleibt auch die gesamte Geschichte über erhalten, man kann Carl und seine Umgebung sozusagen live, in Farbe und 3D vor seinem geistigem Auge sehen. Und wenn Stöbe hier auch einen gewissen Hang zum Kitsch nicht verleugnen kann, so ist die eigentliche Handlung doch so nah an dem, wie es wirklich geschehen könnte, daß man ihm den Plot sofort abnimmt.
Hinzu kommt die Musik, die in dieser Geschichte die eigentliche Hauptrolle spielt. Norbert Stöbe ist derjenige, der zu der Verbindung von Musik und SF vielleicht kein neues Kapitel, aber mindestens einen neuen Absatz hinzugefügt hat. Nicht nur schildert er, wie die Musik das Leben eines Menschen beeinflussen kann, er klaut auch schamlos aus allen möglichen Musikerbiographien, die ich so kenne und integriert sie in eine nahtlos geschriebene Story.
Insgesamt eine wirklich runde Sache, eine Geschichte, die den Leser vom ersten Satz an fesselt. Und ziemlich fest auf meiner Nominierungsliste für den DSFP 2016.

Michael Marrak : Das Lied der Wind-Auguren
Fortsetzungsgeschichte. Nicht mein Geschmack, aber richtig erst am Ende des Romans (?) bewertbar.

Thomas Adam Sieber : Das Sodom Jazz Festival
Durch eine nicht näher beschriebene Technik sind Tiere intelligent geworden. Die Gesellschaft der Erde besteht aus den unterschiedlichsten, artenübergreifenden Beziehungen.
Handlung gibt es in dieser Geschichte nicht, liest sich trotzdem recht flüssig. Stilistisch ist sie also ok, inhaltlich eher daneben (was soll das Ganze ?) und was die Story mit Musik zu tun haben soll, ist mir auch nicht so recht transparent.

Guido Seifert : Le roi est mort, vive le roi !
Ein todkranker Komponist will unbedingt sein letztes Album noch vollenden. Da er den Persönlichkeits-Upload ablehnt, versucht er, nur seine kreativen Aspekte in den Rechner zu laden – und diese beginnen nach seinem Tod mit der Vollendung seines letzten Werkes...
Jou, so muß SF sein ! Guido Seifert setzt sich in ausnehmend gelungener und vollkommen unaufdringlicher Art und Weise mit der Frage auseinander, was einen Menschen ausmacht und ob man einzelne Teile davon wirklich abtrennen kann. Elegant mit dem Komponieren von Musik verknüpft, die hier ebenso eine Hauptrolle wie die beiden weltbesten Komponisten innehat. Und ebenso elegant mir der Frage verknüpft, was für Konsequenzen die Unsterblichkeit von Genies denn tatsächlich zur Folge hat. Speziell die anhand von Chris Stockley dargestellte evolutionstechnische Frage fand ich gelungen gescchildert.
Herausheben möchte ich insbesondere zwei Details, die mir beide wirklich gut gefallen haben. Das eine ist die Darstellung von Nicholas Roziers Leben und moralischen Wertungen über den Trauerredner, der auf dem Flug nach Kourou an seiner Rede feilt. Das andere ist die Szene, in der auf der Beerdigung eine virtuelle Präsenz Roziers von seinen Kindern klar und deutlich als ihr Vater identifiziert wird. Beide Teile sind inhaltlich gelungen und stilistisch ausgefeilt. Gut, das gilt auch für den Rest der Geschichte, aber an diesen zwei Stellen (die übrigens ganz unterschiedlich lang sind) ist mir das besonders aufgefallen. Muß ich mir für den DSFP 2016 auch merken.

Frank Hebben : Cantus
Durch ein Implantat kann ein Musiker mittels Tönen wieder sehen. Hilft nix, er stirbt trotzdem.
Gut erzählt, aber inhaltslos. Schade um eine sehr stimmungsvolle Geschichte.

Stephen Kotowych : Saturn in g-Moll
Ein Komponist nutzt den Planeten Saturn und seine Ringe als Musikinstrument. Bei der Aufführung seiner letzten Symphonie stirbt er.
Eine nette Geschichte über die Monomanie eines Künstlers.

Martina Claus-Bachmann : Das Fremde als Konstrukt – Musik und Science Fiction
Wenn man keine Ahnung hat – einfach mal die Schnauze halten ! Dieses Bonmot von Dieter Nuhr gilt insbesondere für Möchtegern-Wissenschaftler, die versuchen Texte über Science Fiction zu schreiben und sich dabei weder in der SF noch wie in diesem Fall in der Musik geschweige denn im speziellen Musikhandwerk der Komposition von Filmmusik und Soundtracks auskennen. Der für diesen Bereich vollkommen irrelevante Herausgeber wird mehrfach erwähnt, klassische Beispiele wie zum Beispiel Holst oder handwerkliche Details wie zum Beispiel das punktgenaue Komponieren eines Film-Soundtracks ignoriert. Aber auch die angeführten Beispiele von SF-Filmen bleiben im Mainstream hängen, kein Wort zu den Entwicklungen thematischer SF-Kompositionen innerhalb von Kino und Fernsehen. Und mit Verlaub : Diverse Darstellungen und Abläufe, die in diesem Artikel als wissenschaftliche Grundtatsachen hingestellt werden, bezweifle ich als Laie und Morricone-Fan doch stark.
An diesem "wissenschaftlichen" Artikel sieht man aber sehr schön eine Tendenz, die Isaac Asimov bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert in seinen "Foundation"-Romanen vorausgesagt hat : Die "wissenschaftliche Methode" degeneriert zu einem primitivem Wiederkäuen bereits früher zu Papier gebrachter Theorien. Anstelle primäre Forschungen selber zu betreiben, liest der moderne "Wissenschaftler" nur die Werke seiner Vorgänger und macht sich so ein Bild der Realität. Ich hätte nie geglaubt, daß ich diese Degeneration noch zu meinen Lebzeiten erlebe.

Thomas Ziegler : Unten im Tal
Eine düstere Dystopie nach dem Zusammenbruch des Kapitalismus.
Eine Geschichte von 1982, der man das Alter anmerkt. Allerdings stilistisch ein echter Genuß.

Kein Vergleich mehr mit früheren NOVA-Ausgaben. Zuviel Schrott, zuwenig wirklich gute Stories. Immerhin zwei herausragende Geschichten, allerdings ziemlich viel Unterdurchschnittliches. Ich bin einmal gespannt, ob sich NOVA wieder fängt.

2 Kommentare:

  1. Ich habe Shamané noch nicht gelesen, aber nach Deiner Darstellung (und nachdem Du bei den anderen Texten oft "gab's schon" angemerkt hast) muss ich sagen, dass mich das doch stark an meine 1991 geschriebene und 1997 erschienene Kurzgeschichte "Amadeus" erinnert. Kann aber natürlich auch ganz anders sein.

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    1. Ich sehe grade, Amadeus ist online zu finde, falls Du Lust hast, mal reinzuschauen: http://achim-stoesser.de/literatur/txt/amadeus.html

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