Sonntag, 28. Juli 2013

Chris Schlicht : Maschinengeist



Chris Schlicht: Maschinengeist
Feder & Schwert 2012
Taschenbuch, 440 Seiten, 13,99 €
ISBN 978-3-86762-120-5
alternativ als eBook erhältlich


1899 – Die Städte Frankfurt und Wiesbaden sind zu einem riesigen Komplex verschmolzen, in dem die Unterschicht wenig mehr als die Verfügungsmasse der Reichen ist. Riesige Fabrikschlote hüllen die zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit in schwarzen Rauch und lassen die Probleme der versklavten Massen bedeutungslos erscheinen.
Inmitten riesiger Fabrikkomplexe kann Privatermittler Peter Langendorf sich über einen Mangel an Arbeit nicht beklagen. Nicht nur, dass er für Baron von Wallenfels die Machenschaften einer technikfeindlichen Sekte ausloten soll, die das neuste Spielzeug des Industriellen, ein gewaltiges Luftschiff, zerstören wollen. Zusätzlich soll er noch die Halbschwester des Künstlers de Cassard finden, die in die schlimmsten Kreise abgerutscht zu sein scheint. Als dazu noch Peters Bruder Paul auftaucht und ihm von üblen Machenschaften auf den Baustellen und dem Auftauchen entsetzlich mutierter Ratten berichtet, ist das Chaos komplett.
Doch alle drei Fälle führen zu ein und derselben Person …
Klappentext

Es gibt Bücher, die sind gut geschrieben. Und es gibt bedeutende Bücher. In den seltensten Fällen trifft beides zusammen. Dies ist so ein Fall.

"Steampunk" nennt Chris Schlicht ihr Buch. Wir befinden uns in einem Alternativuniversum, Divergenzpunkt ist die Einführung der Sozialversicherung durch Bismarck 1881. In "Maschinengeist" wurden sie wieder abgeschafft und das Leben der Masse der Bevölkerung thematisiert. Der Dreck, die Armut, die Verelendung auch des Mittelstandes und des unteren Adels sind ein Thema, ich würde sogar sagen das Thema des Romans, der die SF-Elemente (Hochladen des menschlichen Geistes in eine Maschine, Mutationen) benutzt, um Kritik an der heute herrschenden Hartz IV-Vorgehensweise zu üben. Chris Schlicht gelingt dies, ohne mit dem erhobenem Zeigefinger zu winken. Sie stellt das Leben der Unterschicht einfach nur in all seiner eben nicht durch eine Sozialversicherung und nicht durch Bürgerrechte abgefederten Grausamkeit einfach nur dar. Das reicht auch.

Mit Peter Langendorfs Bruder Paul führt die Autorin einen homosexuellen Mann ein. Ich fand insbesondere die Darstellung des Umgehens mit der Homosexualität brilliant. In meiner Jugend waren solche Paragraphen wie der 175 noch hochaktuell. Und wurden von meiner Umgebung auch gelebt. Wenn man bedenkt, daß ich immerhin in Bremen, einer mittelgroßen Stadt, aufgewachsen bin, kann man sich denken, wie das in den mehr ländlicheren Gegenden aussah. Gerade in diesem Thema zeigt Chris Schlicht sehr schön, wie weit wir uns zivilisatorisch im letzten Jahrhundert weiterentwickelt haben. Einfach nur durch die Schilderung der Umstände. Ohne groß mit dem Zeigefinger zu winken.

Aber neben diesen gesellschaftspolitischen Themen gibt es auch reine Steampunk-Themen. Man nutzt den "Aether" und betrachtet die neumodische Elektrizität mit ziemlicher Skepsis. Durch die ungehemmte Industrialisierung kann man sich in vielen Teilen der Megalopolis Wiesbaden/Frankfurt nur mit Schutzbrille bewegen. Das Wetter ist dort suboptimal, der Regenmantel ein unbedingtes Muß. Dies gilt insbesondere für die vom Mittelstand und erst recht der Oberschicht physisch durch einen Wall abgeschotteten Armenviertel. Für mich war dies der Auslöser, mit intensiver mit diesem Subgenre zu beschäftigen.

Ich kann diesen Roman nur jedem warm ans Herz legen. Das ist SF, so wie sie sein sollte. So, wie beispielsweise Philip K. Dick sie definiert hat. Dieser Roman ist mein 15-Punkte-Kandidat für den diesjährigen DSFP.

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