Andreas Brandhorst : Omni
Piper 2016
Originalausgabe
Paperback, ca. 560 Seiten, 15,- €
Titelbild : ???
ISBN : 978-3-492-70359-8
Aurelius, vor zehntausend Jahren auf der legendären Erde geboren, ist einer von nur sechs Menschen, die Zugang zu Omni haben, einem Zusammenschluss von Superzivilisationen, der die Macht über die Milchstraße innehat. Nun erhält Aurelius seinen letzten Auftrag: Er soll verhindern, dass ein rätselhaftes Artefakt an Bord des im Hyperraum gestrandeten Raumschiffs Kuritania in falsche Hände gerät. Eine einflussreiche Schattenorganisation ist dem Wrack bereits auf der Spur. Der Agent Forrester und seine Tochter Zinnober sollen den Fund bergen und Aurelius entführen – denn mit seiner Hilfe könnte das Artefakt wieder aktiviert werden. Doch die Mission gerät außer Kontrolle – und Aurelius, Forrester und Zinnober finden sich in einem undurchsichtigen Spiel wieder, das die Zukunft der ganzen Menschheit bedroht ...
Klappentext
Der Asteroid, ein Felsbrocken mit einem Durchmesser von knapp fünfhundert Kilometern, zog einsam seine Bahn am Ende des Perseusarms der Milchstraße, viele Lichtjahre vom nächsten Sonnensystem entfernt. An seinem dunklen Himmel leuchtete das Feuerrad der Galaxis, hell genug, um auf der rauen, zerklüfteten Oberfläche des Asteroiden Muster aus Licht und Schatten zu erschaffen. Der Felsbrocken hatte keine Atmosphäre, die Schallwellen übertragen konnte, aber der Mann hörte, wie die dünne Kruste aus Methan- und Ammoniakeis unter seinen Stiefeln knirschte, als er sich der Mulde mit der Figur näherte, die älter war als er selbst, älter als zehntausend Jahre. Der Kontinua-Film – die für gewöhnliche Augen unsichtbare zweite Haut, die ihn vor dem kalten Vakuum des Alls und der harten Strahlung schützte – verwandelte die Vibrationen in Geräusche.
Die Figur erhob sich am tiefsten Punkt der Mulde; sie war einem Humanoiden nachempfunden, vielleicht einer Frau, die Gesichtszüge wirkten weich und sanft. Beide Arme waren erhoben, den Sternen entgegengestreckt. Wie bei seinem ersten Besuch vor mehr als tausend Jahren betrachtete der Mann die jadegrünen Augen und versuchte zu verstehen, was ihr Blick bedeutete. Sehnsucht? Staunen angesichts der Unermesslichkeit des Universums? Zum siebten Mal befand sich der Mann an diesem Ort, und wieder lag etwas anderes in den Augen, diesmal vielleicht ein Hauch von Melancholie.
Ein Licht erschien neben ihm, ein blauer Punkt, der zur senkrechten Linie einer Kontinua-Brücke wurde. Eine Gestalt trat aus ihr, legte mit einem Schritt so viele Lichtjahre zurück, wie der Mann alt war: zehntausend.
»Wieder hier, Aurelius?« Die Worte der Gestalt klangen wie leiser Gesang. »An diesem Ort?«
Der Mann lächelte kurz, vielleicht ein wenig wehmütig. »Von hier aus kann ich die Erde sehen.«
»Die Erde, Aurelius?«
»Beziehungsweise den Punkt der Galaxis, wo sich das Sol-System befindet.« Er deutete nach oben zum Orionarm der Galaxis. »Dort. Es gibt nicht mehr viele Menschen, die sich daran erinnern.«
»Außer dir nur fünf. Die anderen ausgewählten Reisenden.«
Der Mann namens Aurelius, vor zehn Jahrtausenden auf der Erde als Lukas Jaylen Ciriako geboren, deutete auf die Figur. »Wer hat die Statue erschaffen? Sie ist eine Million Jahre alt. Das sagen die Sensoren meines Schiffes.«
»Wir sind Omni, aber selbst wir wissen nicht alles.« Die Gestalt, die aus dem blauen Leuchten der Kontinua-Brücke gekommen war, breitete dünne Arme aus. »Warum wählst du für unser Treffen ausgerechnet diesen abgelegenen Ort?«
»Weil er abgelegen ist. Weil man hier Abstand hat, die Dinge aus einer anderen Perspektive sieht. Auf der Erde gibt es – oder gab es – ein Sprichwort: ›Man muss den Wald verlassen, um ihn zu sehen.‹«
Aurelius wandte sich von der Statue ab, die seit einer Million Jahren die Arme zu den Sternen hob. Das Wesen, das aus der Brücke gekommen war, schien mehr Licht als feste Substanz zu sein. Es ähnelte den Engeln des Sprawl, durch das die Raumschiffe der Menschen und einiger Äquivalent-Zivilisationen flogen. Vielleicht war es so alt wie die Statue, vielleicht noch viel älter. Aurelius kannte es seit fast zehntausend Jahren: Thrako von den Inper, der dreizehnten von vierzehn ihm bekannten Superzivilisationen des Omni.
»Das klingt nachdenklich«, sagte Thrako. Aurelius dachte von ihm als »er«, aber vermutlich hatte der Inper gar kein Geschlecht. Elfenbeinfarben und halb durchsichtig stand er vor dem Blau der Brücke, die Gliedmaßen lang und dünn, der Rumpf in der Mitte wie zusammengeschnürt, der schmale Kopf ein nach hinten führender Bogen. Die großen, silbernen Augen nahmen die Hälfte des Gesichts ein.
»Ich bin nachdenklich«, sagte Aurelius. »Ich denke über unsere Missionen nach. Sie scheinen nicht viel zu bewirken. Wir greifen hier und dort ein, vorsichtig, mit sanfter Hand, oft an Stellen, die auf den ersten Blick betrachtet unwichtig sind, und offenbar verändert sich nicht viel.«
»Zehntausend Jahre sind nicht viel Zeit.«
»Für Menschen schon.«
»Für einzelne von ihnen, für Individuen, aber nicht für die ganze Spezies, nicht für ihre Rolle auf der galaktischen Bühne.«
Aurelius seufzte, blickte erneut nach oben und betrachtete die Milchstraße. Eine große Bühne, ja, mit mehr Darstellern, als ein Mensch zählen konnte, und es fand nicht nur ein Stück auf ihr statt, sondern viele, vor allem Dramen und Tragödien.
»Eine letzte Mission«, sagte er langsam und fühlte das Gewicht in den Worten. »Dann möchte ich zurück ins Omni. Zurück zu euch. Für hundert Jahre.«
»Du hast dir eine Rückkehr verdient, Aurelius. Du könntest sofort zurückkehren, und für mehr als nur hundert deiner Jahre.«
»Eine letzte Mission«, wiederholte Aurelius. »Damit ich genug Zeit bekomme für eine Neubesinnung.«
»Was hast du vor?«, fragte Thrako.
Aurelius schickte ihm die Daten.
Mehrere Sekunden verstrichen, und als Aurelius’ Blick zu den jadegrünen Augen der Figur zurückkehrte, schienen sie sich erneut verändert zu haben. Etwas Abwartendes lag jetzt in ihnen.
»Es würde dich in Gefahr bringen«, sagte Thrako schließlich.
»Das lässt sich nicht vermeiden.«
»Du kannst sterben, Aurelius. Du bist nicht vor Gewalt geschützt.«
»Ich weiß.«
»Wir würden es sehr bedauern, dich zu verlieren.«
»Omni wird mich nicht verlieren.«
»Du willst deine Anonymität aufgeben, dich zu erkennen geben.«
»Das sieht der Plan vor, ja. Ich werde auf alles vorbereitet sein.«
Thrako klang fast traurig, als er sang: »Man kann nie auf alles vorbereitet sein, Aurelius. Das Unerwartete liegt immer auf der Lauer, überall.«
»Ich werde so gut vorbereitet sein wie möglich. Ist Omni einverstanden?«
Wieder folgten zwei oder drei Sekunden der Stille. Im blauen Spalt der Kontinua-Brücke flackerte es.
»Natürlich. Es liegt in deinem Ermessensspielraum. Es betrifft dich. Ich/wir sind einverstanden.«
Aurelius neigte kurz den Kopf. »Gut. Ich mache mich sofort auf den Weg. Wir sehen uns bald wieder.« Er drehte sich um und ging in Richtung seines Schiffes, das hundert Meter entfernt zwischen den Felsen auf ihn wartete.
»Aurelius?«
Er blieb stehen und drehte sich halb um.
»Ich wünsche dir Glück«, sagte Thrako und winkte mit beiden schmalen Händen.
»Das Glück«, erwiderte Aurelius, »ist ein unsicherer Verbündeter.«
Prolog
Hätte ich noch ein weiteres Mal gelesen, daß Forrester und seine Tochter Isdina-Iaschu, genannt Zinnober, eigentlich wegen der Entführung von Aurelius hätten bestraft werden sollen, ich wäre schreiend gegen die nächste Wand gelaufen. Aber so was von !
Dabei ist der Roman ansonsten ganz nett : Ein riesengroßes Universum, viele FirstOne-Zivilisationen, die sich zum Omni-Verbund zusammengeschlossen haben, eine Menge an hochtechnisierten, aber weniger entwickelten Rassen, die sogenannten Äquiv-Zivilisationen, eine ultrageheime Geheimagentur, ein Aussteiger aus dieser Agentur undsoweiter undsofort. Und trotz aller dieser Zutaten konnte mich der Roman nicht wirklich faszinieren, es blieb beim "ganz nett".
Und als ich all die begeisterten Kommentare auf Amazon las, fragte ich mich, warum eigentlich? Was war es, das mich der Roman nicht zu Begeisterungsstürmen hinriss, ganz im Gegenteil etwa zu dem 3 Band des Kanatki-Zyklus? Gleicher Autor, etwas älter, stilistisch eher weiterentwickelt. Die Story liest sich flüssig, vielleicht an ein, zwei Stellen zu wenig dynamisch, aber das war es definitiv auch nicht. Und als erster Band einer Reihe im Omni-Universum habe ich auch nicht so das Problem mit nicht bis ins letzte Detail beschriebenen Personen und Handlungsträgern. Und im Gegensatz zu "Das Schiff", dem letztjährigen Brandhorst, in dem er meiner Meinung nach den Schluß versaut hat, ist bei "Omni" die Geschichte aus einem Guß, gut durchstrukturiert und sauber erzählt, keinerlei (größere) Inkonsistenzen zu merken.
Nein, der Grund ist ein ganz anderer. Das wird schön an einer Hommage deutlich, die Brandhorst nicht am Ende aufführt : Dem Planeten "Mechanica" beispielsweise, die Raumschiffswerft im menschlichen Teil des Universums. Leute wie ich haben da sofort
den gleichnamigen Planeten aus dem Perry Rhodan-Universum im Hinterkopf, sehen vor ihrem geistigen Auge das entsprechende
John Wayne-Cover, fragen sich, wie es im Omni-Universum dem Zentralplasma geht undsoweiter undsofort. Doch das Mechanica von Andreas Brandhorst hat nix mit dem Mechanica von Perry Rhodan zu tun und der Autor legt auch keinen Wert auf diese Assoziationen. Denn er hat den Roman nicht für Fossilien wie mich geschrieben (die bei der im Prolog beschriebenen Relativen Unsterblichkeit sofort ein ganzes Bündel an Assoziationen zur Hand haben), sondern für Jüngere, die nächste Generation von SF-Fans. Und das ist meiner Meinung nach die grösste Leistung des Autors bei diesem Roman. Dieser Roman ist eben nicht für diejenigen, den den Sense of Wonder schon in Romanen von Asimov, Heinlein, Bulmer, Tubb, Lem, Boulle, Anderson, Moorcock, Harrison und wie sie alle heißen, erfahren haben, die nicht schon seit einem halben Jahrhundert SF lesen und vielleicht etwas "ausgeleiert" sind. Nein, "Omni" ist für die Nachfolgenden, für diejenigen, die 2016 ihre SF-Sturm-und Drang-Zeit haben. Und für die ist der Roman auch genau richtig.
Man sollte sich also von meinem Genörgel "Alles schon mal dagewesen" nicht irritieren lassen, gerade für jüngere SF-Fans – ääähhh, damit meine ich SF-Fans, die noch auf der richtigen Seite der 50 sind – bietet der Roman ungehemmten Lesespaß. Insbesondere als Andreas Brandhorst an vielen Stellen unheimlich bildhaft schreibt. Mein persönlicher Favorit dazu ist die Darstellung des Hyperraums/Mergerraums/Sprawl und der darin lebenden Wesen, den "Engeln". Hier wird die Fremdartigkeit und Exotik wunderbar zum Leben erweckt. [Erinnerte mich natürlich an Timothy Zahn und Norman Spinrad. *mitdemKrückstockrumfuchtel*] Brandhorst schreibt in diesen Szenen so plastisch, daß man sie sozusagen in Farbe und 3D liest.
Insgesamt also ein Roman, den man sich unbedingt kaufen sollte. Jedenfalls U50er. Und ich bin schon mal neugierig auf seinen nächsten Omni-Roman, der im Frühjahr 2017 erscheinen soll.