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Donnerstag, 14. Juli 2016

TERRA EXTRA 093 - Cyril M. Kornbluth : Schwarze Dynastie

Cyril M. Kornbluth : Schwarze Dynastie (The Syndic)
Terra Extra 93, 15.04.1966
Neuauflage
Deutsche Erstausgabe UTOPIA-Kriminal, 1957
Originalausgabe Doubleday 1953
Aus dem Amerikanischen von Klaus Fechner
Neuübersetzung 1974 von Leni Sobez (TERRA TB, 143 Seiten)
Neuübersetzung 1986 von Peter Robert (Bastei-Lübbe, 222 Seiten)
Titelbild : Johnny Bruck


Das Amerika des beginnenden 22. Jahrhunderts ist zweigeteilt. Das Land wird vom Syndikat und vom Mob regiert, zwei ehemaligen Gangsterorganisationen, die sich im Laufe der Zeit zu Familienhierarchien entwickelten.

Im Territorium des Syndikats herrschen die Falcaros, die es verstanden, ein liberales Dorado zu schaffen, in dem Freiheit und Lebensgenuß als allgemeine Maxime gelten.

Der junge Charles Orsino ist eine Stütze des Syndikats. Er ist mit den herrschenden Falcaros entfernt verwandt und hat das "Geschäft" aus den guten, alten Zeiten Al Capones gründlich gelernt. Als Morde und Attentate das Gefüge des Syndikats bedrohen, übernimmt Charles einen Spionageauftrag, der ihn ins Lager des Gegners führt.

Damit beginnt einer der faszinierendsten Romane, die auf dem Gebiet der Science Fiction je veröffentlicht wurden.
Klappentext TERRA TB 245

1938 spaltete sich eine Gruppe von Schriftstellern vom New Yorker SF-Mainstream ab, sie wollten eine Science Fiction-Literatur, die progressive politische Ideen stärker in den Romanen und Kurzgeschichten darstellen. [Larry Correia, does that ring a bell ?] Sie nannten sich "Futurians", dazu gehörten Wollheim und Pohl ebenso wie Judith Merrill, Isaac Asimov, James Blish, David A. Kyle und viele andere. Auch der damals fünfzehnjährige Cyril M. Kornbluth gehörte zu dieser Gruppe.

Cyril Kornbluth war Jahrgang 1923, nach ein paar Veröffentlichungen in den Jahren 1939/40 trat er in die Armee ein und nahm als Infanterist am II. Weltkrieg teil. Nach seiner Entlassung arbeitete er als Journalist und schrieb ab 1947 wieder SF. Bekannt wurde er hauptsächlich durch seine Zusammenarbeit mit Frederik Pohl, bei dem er die Plots entwarf. Cyril Kornbluth starb 1958 an einem Herzfehler. Sein Part in der Zusammenarbeit mit Fred Pohl war so gut, daß diverse Romane und Stories, die Pohl nach Kornbluths Notizen fertiggeschrieben hatte, weiter unter dem gemeinsamen Namen erschienen. Auch mit anderen AutorInnen, unter anderem Judith Merrill, hat Cyril Kornbluth (daß "M" war seine Hoffnung auf eine Kollaboration mit seiner Frau Mary) in Zusammenarbeit gute Romane verfasst, aber den in meinen Augen besten von ihm hat er solo geschrieben. Das ist "Syndic", der hier unter dem Titel "Schwarze Dynastie" bei TERRA EXTRA vor ziemlich genau 50 Jahren herausgegeben wurde.

Diesen Roman in der hier vorliegenden TERRA EXTRA-Form kenne ich schon Jahrzehnte, ich muß ihn als 15-, 16-jähriger das erste Mal gelesen haben. Ich fand damals, daß er irgendwas Faszinierendes an sich hatte und habe ihn auch mehrfach wiedergelesen. Andere Interessen, modernere SF haben dann dazu geführt, daß ich die Klassiker etwas beiseite gepackt habe und erst nach dem Aufflammen meiner Sammelwut in Bezug auf klassische SF-Heftroman- und Taschenbuch-Reihen und dem Beginn des Hintereinanderweglesens der einzelnen Reihen ist er mir wieder unter die Finger gekommen. Es muß auch schon Jahrzehnte her sein, daß ich ihn das letzte Mal gelesen habe, denn erst heute fielen mir neben der immer noch faszinierenden Geschichte die politischen Bullet Points auf, die Cyril Kornbluth hier einschlägt.

Denn "Syndic" ist eine libertäre Utopie, die ein wirklich freies Amerika schildert. "Beherrscht" vom Syndikat, das durch Schutzgelder die öffentlichen Aufgaben finanziert, wird eine freiheitliche Gesellschaft geschildert, wie ich sie mit Ausnahme eines Romans von L. Neil Smith ist mir kein Roman mit einer derart freien Gesellschaft untergekommen. Nachdem die korrupte Regierung zum Teufel gejagt wurde und ein Piratendasein auf Island als alternative Lebensform angenommen hat, sind die Vereinigten Staaten gespalten in die vom Syndikat und vom Mob beherrschten Gebiete. Die Bevölkerung der vom Syndikat beherrschten Gebiete muß Schutzgeld zahlen - soweit es den Leuten möglich ist. Ansonsten gibt es weder Steuern noch irgendwelche anderen Abgaben, keine Reisebeschränkungen, keine Wohlfahrtsbürokratie, keine militarisierte Polizei, keine finanziellen oder geschäftlichen Regularien. Jeder kann so (friedlich) leben, wie es ihm in den Kram passt - und die meisten leben ein typisches Mittelklasseleben ohne exotische Macken.

Anders sieht es beim Mob aus, der mehr die diktatorische Ausprägung amerikanischer Gangsterbanden darstellt. Hier ist nicht nur alles reguliert, es besteht auch ein deutliches Adel/Bauern-System mit allen dazugehörigen Nachteilen. Die amerikanische Regierung, als Piraten in Island lebend, ist nur wenig von den tatsächlichen Politikern überzeichnet, Kornbluth stellt sie als die Gangsterbande hin, wie man sie regelmäßig in den Nachrichten vorgeführt bekommt. Kornbluth überspitzt nur ein bißchen die Realität, doch das reicht schon aus, um die Situation ziemlich zu verfremden. Und er zeigt auch anhand der primitiven Stämme Islands auf, daß der Zusammenbruch des parlamentarischen Regierungssystems zu deutlichst schlimmeren Auswüchsen führen kann, als sie anhand der USA geschildert werden.

Der gesamte Roman ist eine freiheitlich-libertäre Utopie, die an einigen Stellen auch ganz klar den Unterschied zur heutigen repressiven Regierungsform in der Westlichen Welt deutlich macht. Als markanteste empfand ich die Szene, als Charles Orsino, der Protagonist, wieder zurück in Sicherheit ist und aufgrund seiner Erfahrungen dafür plädiert, eine Armee auszuheben und die effektiv schlechteren Systeme, die den Menschen die Freiheit nehmen, zu bekämpfen. Er bekommt als Antwort :
Für das Syndikat gibt es keine Sache auf Leben und Tod. Kommt es je soweit, dann ist das Syndikat schon tot, die Moral aufgelöst, der Glaube zerstört. Was bliebe, wäre nur noch die leere Schale eines Syndikats. Ich bin nicht befugt oder in der Lage zu sagen, ob das Syndikat noch lebt oder schon tot ist. Ich fürchte, es stirbt allmählich. Die auffällige Zunahme von Neurotikern ist ein Symptom. Wir können uns nicht hinter Söldnern zusammenducken, statt dem Volk zu vertrauen, das uns die Macht anvertraut hat. Das wäre nämlich auch ein Symptom.

Dick Reiners Vorschlag und sein wachsender Bodengewinn dafür, die Regierung von den Meeren zu vertreiben, ist auch ein Symptom. Ich fürchte zwar, das Syndikat zerkrümelt unter unseren Füßen, und trotzdem ziehe ich den Status quo vor. Uns wird es jedenfalls noch aushalten. Wir schützen uns mit einer bewaffneten Handelsflotte und einer Miliz, und wenn die Bevölkerung zu uns hält, so reicht das. Zum Teufel, wir wissen doch nicht, was daraus wird, wenn wir das Syndikat, sein Leben und seine Haltung zu entwurzeln versuchen. Ich kann eine Kriegsflotte und eine Armee nicht aus dem Boden stampfen oder befürworten. Ich kann höchstens einem notorischen Kriminellen die Freiheit einschränken. Lest doch die Geschichte. Sie hat mich gelehrt, mich nicht einzumischen.

Insgesamt ein sehr schöner Roman, wenig gealtert und auch heute noch hochaktuell. Wer ihn im Original lesen möchte, sei auf gutenberg.org verwiesen. Weitere Links im Anhang. Interessanterweise ist der Roman zwar beim Erscheinen 1953 recht lau aufgenommen wurden, die Diskussion hat aber über die Jahre hinweg Fahrt aufgenommen.

Links
SFE
Wikipedia
Kirkus (1953)
Jeff Riggenbach : C.M. Kornbluth and the Syndicate (2011)
Micheal Moorcock : Starship Stormtroopers (1978)
Geoffrey Allan Plauché : Book Review | The Syndic by C.M. Kornbluth (2012)
James Palmer : One of Science Fiction's Forgotten Greats (2005)
Vox Day : Science Fiction Sports and Reality (2015)


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