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Samstag, 2. Juli 2016

Ritter / Rüster / Spreen / Haitel : Heute die Welt - morgen das ganze Universum



Hermann Ritter, Johannes Rüster, Dierk Spreen, Michael Haitel (Hrsg.) : Heute die Welt - morgen das ganze Universum
Rechtsextremismus in der deutschen Gegenwarts-Science-Fiction
AndroSF 54, Mai 2016
p.machinery, Murnau
Paperback, 216 Seiten, 11,90 € (eBook 5,99 €)
Titelbild : Lothar Bauer
ISBN 978 3 95765 049 8
eBook-ISBN 978 3 7396 5212 2


Es ist paradox: Wohl niemand kann sich der Faszination der Vergangenheit entziehen – und gleichzeitig wird sie in den seltensten Fällen ungebrochen reflektiert.
Der Nationalsozialismus bzw. seine Manifestation in der deutschen Geschichte ist nicht nur ein weltpolitisches Phänomen 1933–45, dessen mahnende Reflexion heute wesentlicher Bestandteil des bundesdeutschen Erinnerungsnarrativs ist. Die völkischen, faschistischen und nationalsozialistischen Diskurse und Gesellschaftsentwürfe selbst und ihre post-faschistischen Wiedergänger haben eine populärkulturelle Dimension: Es zieht sich ein roter Faden von den völkischen Utopien zur Selbstästhetisierung der faschistischen Diktaturen in Europa – und von diesen zu den modernen rechtskonservativen bis rechtsradikalen Epigonen, die sich im Rahmen des verfassungsrechtlich Möglichen aus beider Zeichen- und Mythenvorrat bedienen.

Einmal mehr erweist sich die fantastische Literatur als Seismograf gesamtkultureller Zusammenhänge, finden das psychologische Spiel mit Archetypen der Fantasy und die allegorische Qualität der Science-Fiction als Ideenliteratur zu großer Wirkung zusammen. Deshalb gilt gerade für diesen literarischen Bereich in besonderem Maße: Ob affirmative faschistoide Allmachtsfantasie, weltanschaulich taubstumme Naziästhetik im Actionfilm oder geschliffene Satire – die Verarbeitung von totalitär-nationalsozialistischen Versatzstücken in der Popkultur bedarf dringend der Decodierung, damit der Umgang mit der Zeitgeschichte differenziert erfolgt.

Das ist auch die Intention dieses Buches: Diesem tumben Raunen sollen ein paar helle Beiklänge beigemischt werden, in die braunverdunkelten Geister ein kleines Flämmchen der Aufklärung getragen werden. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.

Der Inhalt:

Wenn’s doch nur um Julius Caesar ginge. Vorwort
Hermann Ritter: Die geheime Weltregierung tagt in Tibet
Johannes Rüster: Ein Volk, ein Reich und|oder ein Führer? Von der Faszination nationalsozialistischer Alternativwelten
Dierk Spreen: Rechtsextreme Populärkultur. Zum mediensoziologischen und medienethischen Verständnis der Print-Science-Fiction-Serie Stahlfront
Verlagsankündigung

Ich finde p.machinery, den Verlag von Michael Haitel ausnehmend sympathisch. Handwerklich sind die dort herausgegebenen Romane top, das mag ich. Allerdings fehlt ein inhaltliches Lektorat. Das ist mir bei seinem Buch zu GRRMs "Game of Thrones" (ja, ich weiss, das heisst eigentlich "Lied von Eis und Feuer", allerdings ist der Name der Fernsehserie bekannter) aufgefallen und fällt mir hier ebenfalls extrem negativ auf.

Das Buch besteht aus drei Artikeln. Hermann Ritter schreibt in "Die geheime Weltregierung tagt in Tibet" über faschistischen Esoterismus, Johannes Rüster in "Ein Volk, ein Reich und/oder ein Führer" über faschistische Alternativweltromane und Dierk Spreen in "Rechtsextreme Populärkultur" über das medienethische Verständnis der Serie "Stahlfront".

Dieser letzte Artikel ist gut recherchiert, unprätentiös, präzise auf den Punkt geschrieben und messerscharf analysierend. Ich habe mich allerdings mehrfach gefragt, wie der Autor so ruhig bleiben konnte. Mein Kompliment von hier aus. Dieser Artikel lohnt sich – kein Wunder, er ist das Update eines 2009 im "SF-Jahr" bei Heyne bereits erschienenen Kommentars zu "Stahlfront". Hier fand ein Lektorat statt, das merkt man, ein sehr empfehlenswertes Stück Literaturkritik.

Leider ist das der einzige Lichtblick im vorliegenden Buch. Keiner der beiden anderen Artikel erreicht nur annhähernd das Niveau von Dierk Spreen.

Beginnen wir mit Ritters ratlosem Rumgelaber. Er beschäftigt sich mit der Esoterik der Nazis und beginnt damit im 17. Jahrhundert. Ja, das ist schon komisch, aber es wäre sogar zielführend, würde Herrmann Ritter kurz (!) die Wurzeln des Faschismus anreißen. Aber es bleibt nicht kurz, die Blavatsky und andere nehmen deutlich mehr Platz ein als echte Nazis. Und statt sich wirklich mit rechtsextremen Esoterismus zu beschäftigen, wirft Ritter Nationalkonservative, Esoteriker, Geschäftemacher, Verschwörungstheoretiker und Aluhüte aller Zeiten mit Nazis in einen Topf und merkt dabei gar nicht, wie er den Faschismus verharmlost. Laut diesem Artikel ist jeder ein Nazi, der den Atlantis-Mythos oder andere, von den Nazis 1933-45 okkupierten Mythen glaubt oder sie nutzt. Er hat nicht begriffen, daß diese Mythen unter anderem eine ganz klare kommerzielle, vollkommen unideologische Komponente haben, obwohl er das Shaver-Beispiel in seinem Text bringt. Indem Ritter alles dies zu einem angeblich braunem Brei zusammenrührt, entgeht ihm der echte Esoterik-Faschismus, wie er sich beispielsweise in Youtube-Videos über Neuschwabenland und Reichsflugscheiben manifestiert. Und ihm entgeht, daß einige antifaschistische Schriftsteller eben diese Mythen nutzen, um ihre Geschichten noch präziser auf den Punkt zu bringen. Bis auf eine Ausnahme (Wilhelm Landig, S. 78-87) geht der gesamte Artikel total am Thema vorbei. Was bedauerlich ist, denn gerade über die modernen Fascho-Serien des HJB-Verlags hätte ich gerne mehr erfahren.

Aber egal, der Ritter-Artikel ist eben Schrott, vielleicht ist der nächste besser. Johannes Rüster über Nazi-Alternativweltromane. Nun sollte man meinen, daß jemand, der über Alternate History schreibt, sich zumindestens über die Herkunft des Begriffs klar ist. Hermann Ritter ebenso wie Johannes Rüster stellen aber nur allzu deutlich dar, daß sie eigentlich keine Ahnung vom Thema haben. Und sich weder im Thema, noch in der Theorie, geschweige denn in den Romanen auskennen. Weder Ditfurth noch Kirst ist ihnen ein Begriff, auch, daß kontrafaktische Literatur extremst von dem Land geprägt ist, in dem sie veröffentlicht wird, ist ihnen unklar. Dies ist ganz besonders beim Artikel von Rüster zu bemängeln, der zwar ein paar Alternate Histories betrachtet, aber eigentlich gar nicht versteht, warum man sich als Deutscher im Rahmen kontrafaktischer Literatur hauptsächlich mit der Zeit des III. Reichs beschäftigt und beschäftigen muß. Auch und gerade als SF-Autor. Dies ist um so unentschuldbarer, als ein einfacher Blick in die SFE oder die englische Wikipedia allein schon ausgereicht hätte.

Fehlen tut in diesem Buch manches. Etwa eine dezidierte Auseinandersetzung mit dem HJB-Verlag und seiner Fascho-Sparte. Ritter reisst diese nur kurz an, Details zu Autoren und Inhalten fehlen. Stattdessen wird "Maddrax" in die Fascho-Ecke einsortiert. Es fehlt eine Auseinandersetzung mit rechten und totalitären, vielleicht gar nicht so rechts gemeinten Tendenzen in den Leihbüchern oder in moderner Military SF. Es fehlt auch eine Auseinandersetzung mit "Perry Rhodan", dem ja in "Monitor" in den 60ern auch Faschismus vorgeworfen wurde. Aber eben eine Auseinandersetzung, keine unqualifizierte und auf Unwissen basierende Polemik.

So hat mir das Buch leider nichts gegeben, überhaupt nichts. Da war die Lektüre der Romane eines Hans Helmut Kirst oder eines Siegfried Lenz deutlich besser. Oder – um im SF-Genre zu bleiben – das Lesen des Romans "Der 21. Juli", in dem Christian von Ditfurth die Ereignisse nach einem geglücktem Stauffenberg-Attentat erzählt.

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