Seiten

Montag, 17. August 2015

Guido Krain : Der brennende Rabe



Guido Krain : Der brennende Rabe
O.R.I.O.N. Space Opera 02
Arunya-Verlag 2015
Hardcover, 266 Seiten, 14,90 €
ISBN 978-3-95810-003-9
eBook 4,99 €
Titelbild und Innengrafiken : Shikomo
Trailer


Kaum hat die Eos den bekannten Teil der Galaxis hinter sich gelassen, fängt sie ein über 200 Jahre altes Notsignal auf. Der Hilferuf ist offensichtlich menschlich. Doch stammt er aus einer Zeit, in der die Menschheit noch Jahrhunderte gebraucht hätte, um die Abgründe zwischen den Sternen zu überwinden. Der Ursprung des Signals liegt aber in einer Ecke der Milchstraße, die noch heute völlig unbekannt ist. Welcher Forscher könnte einer solchen Herausforderung widerstehen?
Klappentext

Licht aus.

Licht an.

Die Bewusstlosigkeit kam und ging blitzartig wie ein Stromschlag. Sie war so schnell über mich gekommen, dass mein Kopf mit dem Abspeichern der Geschehnisse nicht nachgekommen war. Das blaue Glühen des Hyperraums … was ist der Unterschied zwischen einem Dreieck und Essiggurken? … Zwölf Minuten bis Austritt … nasse, weiße Haare ...
Die letzten Minuten vor dem Licht aus schwammen wie ein undurchsichtiges Bilder-Potpourri in meinem Kopf.

Nein, stellte ich fest. Nicht nur mein Gedächtnis hatte ein Problem. Meine Sicht war seltsam unscharf und farbarm. Ich war desorientiert und kaum in der Lage, einen klaren Gedanken fassen. Pali lag zusammengesunken auf der Couch. Der Anblick gab mir einen Stich und ließ mich taumelnd hochkommen. Ich konnte mich nicht erinnern, mich schon einmal so schwach und unbeholfen gefühlt zu haben. Als ich zu der kleinen Blauen hinüberging, wäre ich beinahe auf sie gestürzt.

Ich mochte es, dass sie in meiner Kabine immer barfuß herumlief. Sie hatte niedliche blaue Füße …

Der Gedanke schwebte losgelöst und sinnfrei durch meinen Kopf. Was war nur los mit mir? Verwirrt schaute ich auf sie hinunter und wartete. Ich musste schließlich wissen, wie schwer sie verletzt war. Ein Dutzend Herzschläge wartete ich, aber der Erkenntnisgewinn blieb aus.

„Computer?“ Es war ein Selbstgespräch und sollte es auch sein. Die nervtötende zweite Stimme in meinem Verstand gehörte so sehr zu mir wie meine Hände. Er war ich. Aber er antwortete nicht. Das erste Mal seit hundertzwanzig Jahren war ich allein in meinem Kopf. Der Schreck brachte endlich wieder Struktur in meine faserigen Gedankengänge.
Ich hatte nicht Lynx, sondern Computer gesagt. Der Schiffscomputer hätte sich angesprochen fühlen müssen, aber auch er schwieg. Mit einem Mal wurde mir die entsetzliche Stille bewusst. Nicht das kleinste Geräusch war zu hören. Kein dunkles Brummen der Maschinen, kein leises Murmeln aus den Versorgungsleitungen von Palis seltsamer Badewanne – nichts. Das Schiff war tot. Erst jetzt registrierte ich, dass es stockfinster war. Meine Augen hatten sich automatisch auf Wärmestrahlung umgestellt, was die Farbarmut erklärte. Dass ich überhaupt Farben unterscheiden konnte, bedeutete, dass zumindest ein Teil des Gefechtscomputers noch arbeitete. Aber warum sah ich so unscharf?

Erleichtert nahm ich zur Kenntnis, dass wenigstens die Sicherheitssysteme funktioniert hatten. Die großen Panoramafenster waren von robusten Schotts … Ich unterbrach den dummen Gedanken, wie es gewöhnlich Lynx‘ Aufgabe war. Meine Kabine befand sich auf Deck 34 in Sektion 0 – mitten im Schiff. Meine Kabine hatte gar keine Fenster, sondern nur sehr realistische Bildschirme, die sich als Fenster ausgaben.

Mit der Plötzlichkeit einer unerwarteten Ohrfeige gewannen meine Sinne die gewohnte Schärfe zurück. Endlich hörte ich Palis Herz schlagen. Gesunde, gleichmäßige Atemzüge hoben und senkten ihre Brust. Auch mein Verstand lief endlich wieder rund und machte mich handlungsfähig. Irgendeine Katastrophe war über uns hereingebrochen; vielleicht hatte uns das Gleiche erwischt, wie das seltsame alte Geisterschiff. Noch war der Raum dicht und der Boden offensichtlich gravitonisch geladen, sodass wir keine Probleme mit der Schwerelosigkeit hatten. Wie lange das noch der Fall sein würde, konnte aber niemand sagen; ich musste die Kleine dringend in einen Raumanzug stecken.
Mit sanftem Schütteln versuchte ich, sie zu wecken, aber sie rührte sich nicht. Wie eine leblose Puppe lag sie in meinen Armen. Zu allem Überfluss trug sie auch nicht ihre Uniform – sie hasste es wirklich, wie „alle Anderen“ auszusehen. Nicht, dass eine Uniform sie den anderen Besatzungsmitgliedern wesentlich ähnlicher gemacht hätte. Blaue Haut, lange weiße Strubbelhaare und ihre Flausen fielen schon etwas aus dem Rahmen.

Sie trug ihren merkwürdigen Mammutpullover, der ihr bis zu den Knöcheln reichte und nichts darunter. Undeutlich erinnerte ich mich, dass sie nebenan gebadet hatte, bevor mir die Lichter ausgegangen waren. Da sie so nicht in den Raumanzug passte, begann ich, ihr zögernd den Pullover auszuziehen. Es fühlte sich … seltsam an. Falsch. Ich mochte Frauen, und die Kleine hatte mir gar nicht erst die Wahl gelassen, sie nicht zu mögen oder auch nur mitzuentscheiden, ob sie bei mir einzog. Und sicher hatte ich die Fähigkeiten meiner Augen schon Millionen Mal dazu missbraucht, ihr durch die Kleidung zu schauen. Aber völlig nackt hatte ich sie noch nie gesehen. Kurz oberhalb der Knie verhielt ich. Was war nur los mit mir? Gerade bei so etwas war ich doch sonst nicht so zimperlich und hätte eher „dann wird es aber Zeit“ gedacht. Außerdem ging es hier nicht um Genuss, sondern um einen Notfall! Meine Gedanken waren extrem unprofessionell.

Bitte warten, dachte es wie zur Bestätigung in meinem Kopf. Lynx! Er ging wieder online! Ich hätte nie geglaubt, dass ich mich eines Tages darüber freuen würde.

Primäre Speicherbanken gelöscht. Systemstatus wird aus quasiorganischem Back-up rekonstruiert.

„Lorn?“, fragte die Kleine schläfrig. Ihre riesigen violetten Augen blinzelten blind in die Finsternis. Sie schmatzte, als hätte sie einen schlechten Geschmack im Mund.
„Hm?“
„Ziehst du mich gerade aus?“
„Ja.“
„Oh?“
Mit einem Mal war sie hellwach und schaute mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit. Gegen meinen Willen musste ich grinsen. Widerwillig nahm ich die Hand von ihren Oberschenkeln, aber sie rührte sich noch immer nicht.

Rekonstruktion komplett. Einheit ist kampfbereit. Führe detaillierten Systemtest durch. Taktische Analyse wird vorbereitet.

Plötzlich flammte das Kabinenlicht auf und ein entnervender auf- und abschwellender Alarmton heulte durch das Schiff. Meine Blitzabsorber kamen gut mit der Situation zurecht, Pali schloss jedoch geblendet die Augen. Licht und Lärm blieben aber die einzigen Anzeichen dafür, dass die Eos noch nicht völlig tot war. Der Formleger und Palis diverse Apparaturen blieben ebenso dunkel wie die Pseudofenster. Nur das Com zeigte mit einem flackernden holographischen Siegel an, dass es zumindest versuchte, seine Funktionsbereitschaft wieder herzustellen. Offenbar war nur der Notreaktor angesprungen und Energiemangel schien nicht das einzige Problem der Technik an Bord zu sein.

Alarmzeichen erkannt. Code 000-4: Katastrophenalarm. Alles nicht zum unmittelbaren Betrieb des Schiffs erforderliche Personal wird zur Vorbereitung der Evakuierung aufgefordert. Die Crews von Shuttles und Beibooten haben sich umgehend bei ihren Kommandanten zu melden. Extrapoliere: Vernichtung des Schiffs ist in den nächsten fünfzehn Minuten nicht zu erwarten.

Lynx hatte eine reizende Art, mich auf einen richtig miesen Tag einzustimmen.
aus dem ersten Kapitel

Die Fortsetzung der Kurzgeschichte "Zombie auf Kartoffel" aus Funken der Unendlichkeit. Und, wie man der obigen Leseprobe entnehmen kann, keinen Deut schlechter. Wobei es nicht so geradlinig weitergeht, wie man nach der obigen Leseprobe glauben mag, Guido Krain gelingt es, aus der sexuellen Anziehungskraft zwischen Pali und Lorn eine tiefe echte Freundschaft zu konstruieren, von der man am Ende des Romans noch nicht weiss, wie sie weitergeht.

Aber auch wenn die Komik in den Pali-und-Lorn-Szenen immer wieder amüsiert, so ist dies nicht die einzige humorvolle Stelle. Da ist zum Beispiel Monique, ein Sex-Android, die während eines Notfalls aktiviert und zu einem Arbeitsrobot ernannt wird. Ihr Programm allerdings fordert, den ersten Mann, den sie nach ihrer Aktivierung sieht, als Objekt ihrer Begierde zu klassifizieren. Nur daß das kein Mann war...

Dieser Humor hat auch einen ernsten Unterton und schlägt unvermittelt von der Komödie zur Tragödie um. Das fand ich, so sehr ich auch auf Humor und Klamauk stehe, ausnehmend gut gelungen. Ebenso gut gefallen hat mir die Figur des Major Zeffner, eines Beibootkommandanten, der an Inkompetenz nichts zu wünschen übrig lässt. Kenne ich aus dem realen Leben nur zu gut, mir scheint, als hätte der Autor sich hier etwas von der Seele geschrieben. Ebenso gefallen hat mir die ruhige Kompetenz des Ersten Offiziers Mai Ling Po, die mich ebenfalls an einige Personen aus dem RL erinnert. Hat was, diese beiden Protagonisten.

Ebenso wie Cody Callahan, Kommandant der Eos. Der bleibt nämlich auf der Brücke und steuert das Geschehen von da. Eine Forderung an Raumschiff-Captains, die seit 1966 immer wieder von Fans gestellt und hier verwirklicht wird. Man könnte jetzt noch einiges zu den einzelnen anderen handelnden Personen sagen, die alle durch die Bank weg kurz und präzise charakterisiert werden und sehr plastisch beim Leser ankommen. Aber da kommt man dann vom Hölzchen auf's Stöckchen, ohne wirklich mehr zu sagen als das sich "Der brennende Rabe" unbedingt lohnt. Ich bin hier mit Ralf Steinberg vollkommen einer Meinung wenn er sagt, daß "Der brenndende Rabe" >>eine furiose und über weite Strecken hochgradig lustige Fortsetzung und für einen zweiten Band mehr als gelungen<< ist. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich ihn für den DSFP nominieren kann, dieses Jahr ist doch schon einiges an sehr lesenswerten Romanen publiziert worden, auf meine erweiterte Nominierungsliste kommt er aber allemal.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen