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Freitag, 12. Juni 2015

TERRA Sonderband 02 - Georgi Martynow : 220 Tage im Weltraumschiff


Georgi Martynow : 220 Tage im Weltraumschiff (220 dney na zwezdolete)
Terra Sonderband 02, 16.05.1958
Nachdruck der ostdeutschen Ausgabe von 1957
Originalausgabe 1955
Aus dem Russischen von Erich Ahrndt
Titelbild : Karl Stephan


Russen und Amerikaner stehen im Wettstreit um den ersten Flug zum Mars. Doch als beide Raumschiffe dort eingetroffen sind, gibt es nicht vorhergesehene Probleme und die Frage stellt sich, ob die Raumfahrer jemals wieder zur Erde zurückkehren können.
Klappentext

Bevor ich selber etwas zu diesem Roman sage, möchte ich zwei andere Rezensenten zu Wort kommen lassen. Zunächst einmal Andreas Reber, der sich auf seinem Blog Life in the 22nd Century nicht nur über Georgi Martynow allgemein, sondern auch über 220 Tage im Weltraumschiff im Speziellen ausgelassen hat :

Dem vor fast 60 Jahren geschriebenen Roman gebührt zusammen mit seinen Fortsetzungen ein Platz in der Sammlung eines jeden an Science-Fiction Interessierten. Der Autor verzichtet fast vollständig auf die damals in der Ost-SF häufig anzutreffenden Kabbeleien zwischen Ost und West. Nur das rein sportliche Interesse Charles Hapgoods, der Erste auf dem Mars sein zu wollen und der Hang seines Begleiters zu Hochprozentigem (Alkohol statt Sauerstoff!) verwundern etwas.

Die Handlung beginnt etwas gemächlich, um gegen Ende so rasante Fahrt aufzunehmen, dass man das Buch kaum mehr aus der Hand legen mag.

Das Verhalten der Hauptfiguren ist vorbildlich. Trotz ihrer Professionalität und Ernsthaftigkeit strahlen sie Wärme und Freundlichkeit aus. Selbst der anfangs etwas wortkarge Belopolski taut nach einiger Zeit auf, und alle vier wachsen zu einer echten Schicksalsgemeinschaft zusammen.

Der andere Rezensent, den ich zu Worte kommen lassen möchte, ist Matthias Käther, der sich auf dem Zauberspiegel zwar hauptsächlich über russische SF im Allgemeinen, Martynows "Phaetonen" im Speziellem ausgelassen hat, aber auch zu dem hier vorliegenden Romanzyklus etwas sagt :

Vielleicht wird es einige Leser überraschen, dass die SF der sozialistischen Ära in der Sowjetunion heute noch ein Gegenstand wohlwollender Besprechungen ist. Es überrascht mich sogar selbst. Zwar war ich immer der Meinung, dass, von Strugatzkis Romanen natürlich abgesehen, einige wenige Werke wie Alexej Tolstois Aelita und die entzückenden Jugendromane von Kirill Bulytschow für eine enge Fangemeinde weiterleben werden – doch schien mir insgesamt vieles zu zeitgebunden und zu ideologiebefrachtet. Doch grade diese Ideologie könnte sich in Tagen dystopisch-fantasylastigen Mainstreams als erfrischende Marktlücke nicht nur für Linke, sondern auch für dekadente Genießer oder routinemüde SF-Freaks erweisen. Und wirklich - die sowjetrussische SF erlebt grade ein Comeback, in dem der totalitäre Touch nicht als lustfeindlich, sondern als angenehmer Thrill wahrgenommen wird. [...] Dass es sehr faszinierende Werke jenseits der Forschung gibt, beweist Martyrows Phaetonen-Epos auf eindringliche Weise. Aber vielleicht stehen wir ja auch erst am Anfang der großen Renaissance. Schön wärs.

Das sind beides zwei ganz schön ignorante und das Thema vollkommen verfehlende Rezensionen.

Man kann es noch so schönzureden versuchen, das Buch ist billige Sowjetpropaganda primitivsten Stils. Ich kenne diverse sehr fragwürdige SF/F beiderseits des Eisernen Vorhangs, aber diese billiger Jakob aus der Hochzeit des Kalten Krieges schlägt die meisten anderen um Längen. Dagegen sind Hubbards Scientology-Romane argumentativ wertvoll, James Bond ein Feminist und Conan ein sensibler Charakter.

Es beginnt ja recht harmlos, als Tagebuch-Roman. Aber schon auf den ersten Seiten, als das diktatorische Sowjet-System weder implizit noch explizit in Frage gestellt, sondern stattdessen sogar bejubelt wird, habe ich mich gefragt, in welchem Film ich bin. Und von Seite zu Seite wird die Story platter und die Verherrlichung der Sowjetunion zusammen mit der Verteufelung Amerikas schlimmer. Alle Sowjet-Kosmonauten sind echte Männer, die nur der Gesellschaft dienen und neverever aus Prestige-Gründen das Leben ihrer Weltraumfahrer gefährden, während die Amerikaner versoffene Schweine sind, die um einen wissenschaftlichen Wettlauf gewinnen zu können, schon einmal so ganz einfach Raumschiff und Besatzung indiskutablen Risiken aussetzen.

Diese dümmliche Schwarz/Weiss-Malerei geht auch das gesamte Buch durch in dieser primitiven Art weiter, daß ich mich bei einigen Rezensenten wirklich frage, was sie geraucht haben, bevor sie ihre unqualifizierte Lobhudelei dem Internet anvertrauten. Um es deutlich zu sagen : Dieses Buch verdient es, als "Landser im Weltall" apostrophiert zu werden. Und wer derartigen Propaganda-Müll auch noch bejubelt, stimmt genau der Ideologie zu, hinter der der "Landser" in allen seinen Spielarten steckt. Ich finde das eklig. Und ich kann nur jeder auch nur in Ansätzen sensiblen und nicht völlig verrohten Seele vor diesem Roman warnen.

Osteuropäische Kunst - das wissen ehemalige DDRler am Besten - konnte nur dann veröffentlicht werden, wenn es das System stützte. Genug Schriftsteller der UdSSR sind im Gulag gelandet, wenn sie auch nur in den Verdacht der Abweichung kamen. Solschenizyn ist da das prominenteste Beispiel, aber es gibt genug andere. Auch in der DDR war das nur marginal besser, ich denke, ich brauche da keine Beispiele zu bringen. Das, was im Westen veröffentlicht wurde, war entweder apolitisch oder voll auf der Parteilinie. Alleine das sollte einem schon zu denken geben, wenn man einen im Westen veröffentlichten Roman dieser Zeit bespricht. Wer so schwachsinnig ist, die Propaganda eines solchen Romans als "angenehmen Thrill" wahrzunehmen, hat den Schuß nicht gehört und auf einer Seite wie dem "Zauberspiegel" nichts zu suchen. Das sind nämlich genau die Leute, die aus genau den gleichen Gründen "Mein Kampf" nicht als lustfeindlich, sondern als angenehmen Thrill wahrnehmen.

Update
Ein wie ich finde wichtiger Einwurf von Stefan Pannor via Facebook :
"Osteuropäische Kunst - das wissen ehemalige DDRler am Besten - konnte nur dann veröffentlicht werden, wenn es das System stützte."
Das ist zu 90% richtig, der desolate Zustand weiter Teile der DDR-SF legt davon Zeugnis ab. Aber zu 10%... sagen wir mal, die Strugatzkis etwa wurden zunehmend weniger staatstragend und wurden in den meisten Fällen dennoch publiziert. "Stalker" lief in den Kinos. Autoren wie Erik Simon konnten in der DDR als Herausgeber und Autor hochsubversive Werke publizieren. Gert Prokop und Franz Fühmann schliesslich zerlegten den Staat, in dem sie lebten, komplett in einigen ihrer Bücher. Diese Dinge finden wir, sicher als Ausnahme, aber sie sind da.
Quelle

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