Seiten

Montag, 16. Juli 2012

Gillian Bradshaw : Die Reiter der Sarmaten



Gillian Bradshaw : Die Reiter der Sarmaten (Island of Ghosts)
Aus dem Amerikanischem von Martin Schulte
Goldmann Taschenbuch, 415 Seiten
Originalausgabe und Deutsche Erstausgabe 1992
nur antiquarisch erhältlich


Die Sarmaten haben mit ihren Streifzügen jahrelang die römischen Donauprovinzen heimgesucht. Als es Kaiser Marc Aurel schließlich im Jahre 172 n. Chr. gelingt, sie niederzuwerfen, verlangt er als Friedensbedingung, daß sie ihre gefürchtete Kavallerie abtreten, die er in der unruhigen Provinz Britannien einsetzen will. Die ersten 1500 Reiter unter Führung ihrer drei Fürst-Kommandeure Arshak, Gatalas und Ariantes werden dem römischen Befehlshaber in Nordbritannien unterstellt und an den römischen Grenzwall verlegt, den sie gegen die Überfälle der aufrührerischen Stämme aus dem schottischen Hochland verteidigen sollen. Hier werden die an ein ungebundenes Nomadendasein gewohnten, freiheitsliebenden Sarmaten mit einer ihnen fremden Zivilisation und der strengen Disziplin der römischen Streitkräfte konfrontiert sowie in Verschwörungen und undurchsichtige Machtkämpfe verstrickt.

Aurelia Bodica, die ebenso schöne wie intrigante Britin und Frau des römischen Befehlshabers Priscus, ist Anhängerin einer extremen Druidensekte, die zur Durchsetzung ihrer Ziele auch vor Mord nicht zurückschreckt. Bodica möchte als Anführerin eines Aufstands die Römer aus dem nördlichen Britannien vertreiben und ein unabhängiges Reich errichten. Als sie versucht, die Sarmaten als Verbündete zu gewinnen, widersetzt sich Ariantes ihren verlockenden Versprechungen. Er will den Eid, den er dem Kaiser geleistet hat, nicht brechen, und er ist klug genug, um zu erkennen, daß sie gegen die römische Übermacht nur verlieren können. Doch der stolze und ehrgeizige Arshak läßt sich von Bodicas Verheißungen und Liebesbeteuerungen betören …
[Klappentext]

"Wir meuterten, als wir den Ozean erreicht hatten.
Seit einundfünfzig Tagen waren wir unterwegs, unsere drei Abteilungen, begleitet und bewacht von einer Kohorte der Dreizehnten Legion und zwei Abteilungen Auxiliarkavallerie. Ende Juli waren wir in Aquincum aufgebrochen. Wir waren durch die Augusthitze geritten, der Staub und die Fliegen hatten uns arg zugesetzt. Die meisten Armeestützpunkte, die uns auf dem Marsch mit Proviant versorgen sollten, waren auf die Verpflegung einer so großen Menge Menschen und Pferde nicht eingerichtet; niemand hatte sie benachrichtigt. Von den vorhandenen Vorräten nahmen die Römer das Beste für sich, für uns blieb nichts als saure Gerstensuppe und grobes schwarzes Brot. Wir waren diese Kost nicht gewohnt, sie machte uns krank. Die Hufe unserer Pferde nutzten sich auf den gepflasterten römischen Straßen ab, und die Tiere lahmten. Da die Römer sich weigerten, uns von ihren Ledervorräten abzugeben, schnitten wir die Lederverstärkungen der Wagenplanen auf und machten aus ihnen eine Art Sandalen für die Pferde. Schließlich, Anfang September, als wir Germanien verließen und in westlicher Richtung durch Gallien weiterzogen, begann es zu regnen. Das Wasser drang durch die lose hängenden Planen und durchnäßte alles: Schlafdecken, Proviant, Kleidung. Alles stank nach nasser Wolle, nassen Pferden, verfaulender Gerste, ungewaschenen, nassen Menschen; wir haßten den Geruch unserer eigenen Haut. Nur unsere Rüstungen und unsere Waffen waren vor dem Regen sicher: Sie waren in Aquincum wasserdicht verpackt und auf zwanzig besondere Wagen verladen worden, die von den Römern bewacht wurden.
Dann, eines Nachmittags kurz vor Mitte September - wir begannen gerade, aus dem Hügelland in die Ebene hinabzureiten -, da sahen wir es vor uns liegen: das Meer."

Soweit der Beginn des Buches. Gillian Bradshaw schreibt hier über den historisch authentischen Einsatz der Sarmaten, einem Reitervolk verwandt mit den Skythen, in Großbritannien. Dabei schreibt sie im Nachwort exakt, wo sie von der historischen Wirklichkeit abgewichen ist. Es ist nur wahrscheinlich, nicht aber abgesichert, daß die Sarmaten nach ihrer Niederlage ihre schwere Kavallerie in den Dienst des römischen Kaisers stellen mußten. Auch der "Donnersieg", auf den im Buch öfter angespielt wird, hat so nicht stattgefunden. Da die Autorin, wie sie schreibt, aber keine historische Quelle der Entscheidungsschlacht zwischen Römern und Sarmaten gefunden hat, benutzte sie dieses bei Dio Cassius beschriebene Gefecht, um die Niederlage der Sarmaten darzustellen.

Viel interessanter als diese historischen Ungenauigkeiten sind aber die Beschreibungen der Lebensart und der Denke des Nomadenvolks, der britannischen Ureinwohner und der Römer. So wird an mehreren Stellen dargestellt, daß die Sarmaten und insbesondere der Held, Ariantes, nach unseren heutigen Maßstäben ebenso wie nach den damaligen römischen Idealen ein blutrünstiger Barbar war, der besiegte Feinde skalpierte und ihre Schädel als Trinkschalen benutzte. Aber eben nicht, und das ist das eigentliche Thema des Romans, nach den Maßstäben seiner eigenen Gesellschaft. Anhand seiner Aktionen und dem Verhalten der anderen beiden Fürsten, die mit dem ersten Sarmaten-Treck nach Britannien geschickt wurden, stellt Gillian Bradshaw plastisch den Ehrbegriff der Sarmaten dar und schildert im Zusammenspiel mit den Britanniern die Lebensweise dieses Nomadenvolks.

Mir gefällt dieses Buch besonders wegen der Darstellung des Protagonisten. Fürst Ariantes ist ein realistisch denkender Mann, der nach dem Tod seiner Frau und seiner Kinder im Krieg stark zur Melancholie neigt. Ohne dies ausdrücklich und explizit zu betonen gelingt es Gillian Bradshaw, dies allein durch die Darstellung der Ereignisse zu beschreiben, die an Ariantes im ersten Drittel des Buches sozusagen vorbeilaufen. Man merkt, daß nur die Verantwortung, die er gegenüber seinen Kriegern verspürt, ihn aufrecht hält. Erst als er sich gegen Arshaks und Bodicas Verschwörung gegen die Römer zur Wiederherstellung eines alten Britanniens wird er lebhafter. Und wacht vollends auf, als er Pervica, eine britannisch-römische Witwe trifft. Gillian Bradshaw schildert Ariantes als einen realistisch denkenden und sehr auf seine Würde bedachten Mann. Insbesondere letzteres nimmt sie amüsiert auf die Schippe, ich frage mich, wer ihr hier aus dem RL wohl Modell gestanden hat.

Insgesamt ein sehr angenehmer historischer Roman, den ich nur weiterempfehlen kann.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen