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Donnerstag, 3. Mai 2012

NOVA 18

NOVA 18
herausgegeben von Ronald M. Hahn, Michael K. Iwoleit, Frank Hebben und Olaf G. Hilscher
NOVA-Verlag 2011
Paperback, 184 Seiten, 12,80 €



NOVA ist eine Kurzgeschichten-Anthologie, die von einem wechselndem Mitarbeiterstab herausgegeben wird. Da zu diesem Mitarbeiterstab Ronald M. Hahn, Michael K. Iwoleit, Frank Hebben und Olaf G. Hilscher gehören bzw. gehörten, ist die Qualität des "Deutschen Magazins für Science Fiction" immer überdurchschnittlich. Zusammen mit den Wurdack-Anthologien und, seit Neuestem, den Bänden des Begedia-Verlages bildet NOVA das Triumvirat der hochwertigen SF-Kurzgeschichten-Ausgaben. Auch diese 18. Ausgabe enthält wieder einige bemerkenswerte Stories. Im Detail :


Heidrun Jänchen : Gänseblümchen
Ein Anti-Stress-SEK beruhigt die ausrastenden Mitarbeiter des Zentralen Einkaufs.

Eine nette, nicht-triviale Idee, die aber nicht richtig umgesetzt wurde. Es fehlt einfach die Bedeutung des Ganzen. So wirkt die Geschichte auf mich wie ein Bericht, eine trockene Darstellung des Ist-Zustands. Und dies trotz des zweifelsohne gelungenen Erzählens von Heidrun Jänchen, was die inhaltlichen Schwächen noch viel stärker zutage treten lässt.


Olaf Kemmler : Der Kuß der Deltafloride
In den Randbezirken der Galaxis haben die Menschen eine pflanzliche Spezies mit erstaunlichen Mimikry-Fähigkeiten entdeckt. Als das Raumschiff, das ein Ansichtsexemplar zur Erde bringen soll, auf Höhe der Mondbahn stumm die Erde umkreist, werden Himmelswächter zur Kontrolle losgeschickt. Sie entdecken, daß sich die Deltafloride in eine wunderschöne Frau verwandelt hat und nur noch ein Wissenschaftler am Leben ist. Die anderen haben sich gegenseitig umgebracht. Aus Eifersucht, geschürt durch die Deltafloride. Doch die Himmelswächter sind emotional kastriert und sollten den Verlockungen der Sirene standhalten. Eigentlich ...

Eine sehr gut erzählte, aber absolut vorhersehbare Geschichte. Nichts, aber auch gar nichts am Ablauf der Ereignisse ist irgendwie überraschend. Das Flair einer solchen Story muß daher vollständig aus dem sonstigem Beiwerk kommen. Und dieses Flair zu erzeugen gelingt Olaf Kemmler überraschend gut. Die Darstellung der Himmelswächter, emotional verkrüppelte menschliche Kampfmaschinen, erinnert deutlich an die Fremdenlegion und ist einfühlsam und leicht melancholisch beschrieben. Das Entern des Forschungsschiffes erinnerte mich stark an den Aufmarsch in "Alien 2" und ist genauso spannend dargestellt. Die Deltafloride wird nicht als irres Monster, sondern als Pflanze mit Selbsterhaltungstrieb beschrieben, die Tode der Wissenschaftler und das Verhalten der Himmelswächter logisch und konsistent dargestellt. Eine nette durchschnittliche Geschichte - für Asimov, Heinlein oder van Vogt.


Thorsten Küper : Haptisch ...
Ein Dealer verkauft Haptocin, eine Droge, die das virtuelle Leben (an)fassbar macht. So sehr, daß man das RL vergisst.

Eine deutliche Warnung vor wahrnehmungsverändernden Drogen. Erzählt vom Standpunkt eines zynischen und abgebrühten Dealers wird eines seiner Opfer vorgeführt. Thorsten Küper macht drastisch klar, wohin eine Sucht führen kann und wie wenig das Leben des Süchtigen den Dealer interessiert. Kurz, knapp und gut.


Gabriele Behrend : Patchwork
Eine Krebskranke versucht, durch Organtransplantationen dem Tod zu entgehen. Sie führt diese selbstständig durch und ihre Organspender tun dies nicht immer freiwillig ...

Klassisch gut erzählt, der Beginn der Story liest sich wie eine Romanze, die sich von Absatz zu Absatz zum Horror wendet. Kein tieferer Hintersinn, aber ein faszinierendes Feeling.


Florian Heller : Das Ende der Party
UFOs entführen tatsächlich Menschen und experimentieren an Ihnen herum. Als sie jedoch am Gehirn des Protagonisten rumspielen und und ihm einen IQ von 736 verpassen, geht das übel für sie aus. Er tötet sie, übernimmt das Raumschiff, schwingt sich zum Herrscher der Erde auf, findet ein Mittel, um unsterblich zu werden und wartet am Ende auf das Verlöschen des Universums.

Im Gegensatz zu seiner Geschichte "Der Folterknecht" in Nova 17 legt Florian Heller hier eine überaus positive Utopie vor. So führt beispielsweise die Diktatur des Protagonisten über die Erde dazu, daß "die Worte Geld, Rassismus und Verbrechen nur noch einigen Historikern bekannt [waren], und selbst die mussten erst mal nachschlagen." Dabei beginnt die Story inhaltlich gar nicht nett, als der Protagonist mit seinem damaligem IQ von 75 darstellt, wie dumm er war. Die schildert Heller in lakonischer Sprache und einem Stil, daß einem spätestens ab der dritten Zeile das Grinsen aufs Gesicht bringt. Dieses verlässt einen auch im weiteren Verlauf der Story nicht, Heller erzählt in einem derartig trockenem Humor, daß man einen guten Wein zu dieser brillianten Geschichte trinken sollte, um nicht zu dürsten. Oder ein schön gezapftes Bier. Obwohl dies ja ebenso wie Zigarretten gar nicht so gesund ist. "Das Zeug würde mich Jahre meines Lebens kosten. Verärgert drückte ich die Zigarrette aus – und zündete mir fünf Minuten später eine neue an. Leider macht Sucht auch vor Intelligenz nicht Halt."

Insgesamt eine sehr lesenswerte Geschichte, für mich persönlich eine der Besten dieses Jahrgangs.


Holger Eckardt : Das letzte Taxi
Nach drei Jahren Testessen und –trinken kommt ein intergalaktischer Gastronomiekritiker zu dem Schluß, daß für die Erde nur eines in Frage kommt : Die totale Zerstörung.

Diese Inhaltsangabe liest sich witziger als die eigentliche Geschichte. Stilistisch in üblicher Top-Form erzählt Holger Eckhardt hier eine primitiv-klamaukige Story, bleibt mit seinen punktuell gelungenen Ideen an der Oberfläche statt sie auszuloten. Nicht wirklich gelungen.


Norbert Stöbe : Klondike
Ein Häftling erzählt von seinem Leben – und seinem Vater, einem Androiden. Mit dem er, als er älter wurde nicht mehr klarkam und umbrachte. Was aufgrund der Gleichstellung von Menschen und Robotern als Mord bestraft wurde.

Sehr schön erzählt, stilistisch lässt die Story wenig Wünsche offen. Inhaltlich bin ich etwas zwiegespalten. Einerseits ist die Darstellung des Homunkulus sehr schön aus einer neuen Perspektive erzählt, andererseits ist das Thema doch auch gerade in dieser Form schon oft, vielleicht zu oft, erzählt worden. Geschmackssache, glaube ich.


Wolf Welling: Die Katze Schrödinger
Ein wahnsinniger Wissenschaftler versucht, "Schrödingers Katze" am Menschen zu beweisen. Es gelingt ihm, aber er merkt es nicht.

Nette Wissenschaftsstory mit bekannten Versatzstücken, aber interessant parallel erzählt.


Siegfried Langer: Schöpfungsgeschichte
Ein Raumschiff landet auf dem Potsdamer Platz. Und bleibt daliegen, ohne sich zu rühren.Kanzlerin, SEK, Wissenschaftler, die Opposition, alle sind da und überlegen gemeinsam hilflos, was zu tun ist.Nach drei Tagen spuckt das Raumschiff Insekten aus, die alles Leben auf der Erde, "sogar die Kanzlerin", auslöschen und die Schöpfung von vorne beginnen lassen.

Launig-komische Satire über die Unfähigkeit des Establishments. Nichts Weltbewegend-Tiefsinniges, doch trotzdem lesenswert.


Karsten Greve : Die Entschädigung
Versehentlich von einem UFO entführt, soll Thomasson als Entschädigung Superkräfte erhalten. Doch mit den ihm angebotenen Superfähigkeiten kann er nichts anfangen ...

Nette Vignette, allerdings doch recht trivial. Mehr Lückenfüller als NOVA-Standard.


Michael K. Iwoleit : SF-Spezial
In jeder NOVA-Ausgabe gibt es mindestens eine Story, die genial und herausragend ist. In dieser #18 wird das hohe Niveau jedoch nicht von einer Geschichte, sondern von dem von MKI initiierten SF-Spezial zementiert. Dieses SF-Spezial beleuchtet den arabisch-israelischen Konflikt am Beispiel der SF. Nach Kurzgeschichten folgt ein Interview mit den Autoren. Ich möchte zunächst die drei Stories vorstellen, da diese imho bereits einiges darstellen.

Guy Hasson : Das Attentat
Die technologische Entwicklung eines Gerätes, das in die Vergangenheit sehen kann, beleuchtet ein Attentat während des iraelischen Freiheitskampfes in ganz neuem Licht.
Lavie Thidar : Shira
Das Buch eines SF-Autors und Lyrikers scheint Nur eine Zeitreise in die Zeit vor dem Kleinen Holocaust zu ermöglichen.
Achmed A. W. Kammas (Ghasan Homsi) : Licht
Europa und Nordafrika versuchen, die Sahara mit Sonnenkollektoren zu überziehen. Sie werden allerdings vom israelisch-arabischen Konsortium überholt, daß Sonnensatelliten um die Erde herum plaziert hat und neben der Energielieferung jetzt jeder nicht-kooperativen Gesellschaft im wahrsten Sinne das Licht ausknipsen kann.

Als Israelophiler habe ich mit diesen Erzählungen ein Problem. Die beiden israelischen sind sehr rückwärtsgewandt, beleuchten die Freiheitskämpfe der Israelis vor einem halben Jahrhundert. Beide sind sehr introspektiv, eine israelische Nabelschau sozusagen. Gut geschrieben, jedoch inhaltlich SF-fragwürdig. Im Gegensatz dazu ist die arabische optimistisch-positiv, lässt die Vergangenheit hinter sich und schildert eine gemeinsame Zukunft von Israelis und Arabern. Nur diese Erzählung bietet einen politischen Lichtschein am Horizont, nur hier sehe ich eine Sicht nach vorne. Irritierend.

Das darauf folgende Interview scheint diesen meinen Standpunkt noch zu erhärten, ist aber zu kurz, um wirklich in die Tiefe zu gehen. Hier wäre vielleicht einmal ein gesamter Band israelisch/arabischer SF interessant, Sponsoren sollten sich dafür doch finden lassen ?


NOVA 18 schließt mit einem Nachruf auf Wolfgang Fienhold und dem unvermeidlichen Editorial. Eine Ausgabe mit qualitativ sehr unterschiedlichen Stories, jedoch mit einigen Höhepunkten. Wie eigentlich jede NOVA-Ausgabe lesenswert.

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