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Sonntag, 18. Dezember 2011

Nova 17


Ronald M. Hahn / Frank Hebben / Michael K. Iwoleit (Hrsg.) : Nova 17
230 Seiten, € 12,80
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Editorial
Möchtegernhumoristischer Brief eines Buchhalters aus Hawai. Ignorieren.

Uwe Post : Bikepunks
Im nachapokalyptischen Ruhrgebiet versucht eine Gruppe Fahrradfahrer einen der letzten existierenden deutschen Radiosender zu finden.
Eine Fortsetzung von "Noware" aus Nova 13. Ebenso eindringlich wie dort schildert Uwe Post in "Bikepunks" den Abstieg der Zivilisation und die Verrohung der Menschen. Eine herausragende Story, die den Wunsch nach mehr nach sich zieht. Unbedingt lesenswert.

Florian Heller : Der Folterknecht
Die Story von Florian Heller stellt einen Tag im Leben eines Folterknechts dar. Dieser lebt in einem Deutschland, in der die Folter institutionalisiertes Bestrafungsinstrument ist.
Florian Heller zeigt in "Der Folterknecht" weder die psychologischen Konsequenzen der beschriebenen Gesellschaft auf das Individuum auf, noch beschäftigt er sich in seiner Story mit den soziokulturellen Änderungen der Gesellschaft, die sich fraglos durch eine solche Umwälzung ergeben. Das Hauptmotiv dieser Geschichte ist und bleibt die rein physische Splatter-Darstellung einer primitiven mit mittelalterlichen Werkzeugen durchgeführten Folterung, die genüßlich im Detail ausgewälzt wird. Daß sich die Folter eines Menschen "weiterentwickelt" hat, wurde vor mehr als einem halben Jahrhundert in "1984" schon deutlichst dargestellt. Die hier dargestellte Folterung ignoriert auch andere Entwicklungen der SF wie etwa Norman Spinrads "Bruderschaft des Schmerzes". Die Story bedient genau und nur die primitiven Instinkte heutiger Splatter-Fans. Wer's mag, bitte, ich ziehe anspruchsvollere Phantastik vor.

Arno Behrend : Im Blitzlichgewitter
Die Rache von Prinzessin Dianas Sohn an den Paparazzi. Nachdem er König geworden ist, Nicht nur ändert er die Gesetze und schützt seine Familie, er organisiert auch das Royal Protection Batailon und lässt zurückblitzen.
Ideen-SF, wie ich sie lange nicht mehr gelesen habe. Ausgehend von der Gegenwart schildert Arno Behrend ein gar nicht so unwahrscheinliche Zukunft, in der sich der englische König gegen Belästigungen wehrt.
Sehr empfehlenswerte originelle "kleine" Geschichte, von der ich sicher bin, sie in Zukunft in vielen Anthologien zu finden.

Sven Klöpping : Gothic Lovers
Also Handlung gibt es. Irgendwie. Und wenn ich den Klöpping richtig verstanden habe, ist diese Story wohl ein flammendes Fanal gegen die Banalität des Alltags. Aber sicher bin ich mir da nicht. Doch lesen sollte man die Geschichte schon, wenn man sich nicht zuviel Klöpping auf einmal reinzieht, hat das auch keine Nachwirkungen.

Gero Reimann : Was denn noch ?
Ein snobistischer Multimillionär sucht den exclusiven Tod.
Ganz nett, aber inhaltlich doch sehr dürftig. Allerdings sehr gut geschrieben.

Ralf Wolfstädter : Der Schädlingsbekämpfer
Ein Attentäter übt seine Jobs im Cyberspace – und bleibt hängen.
Nichts Neues unter der Sonne, das kennen wir aus "Matrix". Aber es muß ja auch nicht jede Geschichte die SF komplett neu erfinden, auch spannend geschriebene Stories wie "Der Schädlingsbekämpfer", die SecondLife einmal aus einer etwas anders kommerziell genutzten Sicht beschreiben, machen Spaß. Empfehlens- und lesenswert.

Michael K. Iwoleit : Die Schwelle
Durch ein militärisches Forschungsprojekt ist es möglich, die Gefühle anderer per Datentransfer zu erfahren. Dies erzeugt ein Drogenkartell, das Analogon zu Snuff-Videos ist der Renner. Insbesondere die brutale Vergewaltigung und Tötung von Frauen aus Südamerika. Dieser Femizid nimmt ungeahnte Ausmaße an, bis die Frauen zurückschlagen und die Gefühlswelt einer verfolgten Frau ins Netz einspeisen.
MKI ist auch in Nova 17 wie üblich brilliant. Die SF-Komponente dieser Geschichte ist eine extremst wissenschaftlich begründete Extrapolation in die nahe Zukunft, das daraus resultierende Standard-Konzept des Cyberpunks wurde herausragend von der heutigen Gesellschaft extrapoliert. "Die Schwelle" ist hochwertige Social Fiction, die sich sehr an John Brunners beste Romane anlehnt. Insbesondere der von Iwoleit dargestellte Femizid in seiner sinnlosen Brutalität und Wahllosigkeit ist eindringlicher als das meiste, das ich in der letzten Zeit gelesen habe.
MKI erzählt diese Geschichte aus der Sicht eines Reporters, der selber Gefühls-Junkie geworden ist. Dazu benutzt er Tagebucheinträge, um dem Leser das Gefühlsleben des Reporters nahezubringen. Damit beschreibt er die Ereignisse aber mehr, als daß er sie zeigt. Etwas weniger Tagebuch und etwas mehr Action und wir hätten hier ein Glanzlicht der deutschen SF 2010. So bleibt es "nur" eine wirklich lesenswerte Geschichte.

Aleksandar Ziljak : Ultramarine!
Auf den Spuren von "Moby Dick" jagt ein Mädel einen Kraken auf einem außerirdischen Planeten und hat Sex mit einem Alien.
Stilistisch einwandfrei, liest sich sehr gut, eine Offenbarung für Ozeansüchtige. Der Rest der Welt hat die Geschichte mangels Inhalt nach fünf Minuten vergessen.

Frank Hebben : Das Lichtwerk
Eine neue Bombe hat die Welt in Milliarden von einzelnen Realitätsblasen zerplatzen lassen. Aus dem Zwischenraum kommen fremdartige und gefährliche Wesen auf die einzelnen "Welten". In einer dieser Blasen gefangen, versuchen Rhombus, Paul, Lisa und Ludwig, der Hund, etwas dagegen zu tun und sich in der fremdartigen Welt zu behaupten.
Frank Hebben meets "The Omega Man" – das beschreibt das Feeling, das ich bei der Geschichte hatte, sehr genau. Der exotische Background, die dargestellten Normalo-Protagonisten als auch die unheimliche Bedrohung aus dem Zwischenraum fand ich ausnehmend gut dargestellt. Frank Hebben spielt hier seine Ausdrucksstärke voll aus, ich kann diese Story nur jedem SF-Fan weiterempfehlen.

Volker Wittmann : Auf der Suche nach außerirdischer Dummheit
Ein Möchtegern-pointierter Bericht über das SETI-Projekt. Etwas weniger Polemik und etwas mehr Stil hätten dem Bericht gut getan, so ist er praktisch unlesbar.

Helmuth W. Mommers : Die deutsche SF-Kurzgeschichte 2009
Der Jahresrückblick von HWM, wie immer lesenswert. Allerdings doch etwas sehr spät erschienen.

Franz Rottensteiner : Nachruf auf William Tenn (1920-2010)
Ein Nachruf auf den 2010 verstorbenen William Tenn, der hierzulande ziemlich unbekannt ist. Heyne hatte vor Jahren Teile seines Werks veröffentlicht, seitdem ist er meines Wissens hier in Deutschland in der Versenkung verschwunden. Hier hätte ich gerne eine ausführlichere Würdigung des Schriftstellers gelesen.


Fazit : Eine durchwachsene Ausgabe mit ein paar Highlights. Und einigen Ausfällen. Ich sollte allerdings nicht verschweigen, daß meine Sicht auf die Geschichten doch sehr stark von denen des Nova-Leserkreises abweicht. Beim DSFP hat "Der Folterknecht" ja offenbar deutlich stärkeren Eindruck gemacht, beim KLP ist "Die Schwelle" der Favorit für 2010. Ich kann weder das eine noch das andere nachempfinden, für mich haben beide Geschichten eklatante Mängel. Anyway, wer's selber lesen will, wird mit Nova 17 keinen Fehlgriff tun. Ebensowenig wie mit jeder anderen Nummer, nicht umsonst ist mindestens eine beim DSFP nominierte Story in den letzten Jahren aus einer Nova-Ausgabe.

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