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Samstag, 17. Dezember 2011
Harald Giersche (Hrsg.) : Prototypen
Harald Giersche (Hrsg.) : Prototypen und andere Unwägbarkeiten
ISBN 978-3-981394603
Begedia-Verlag 2011
phatastic episodes V
200 Seiten
Christian Endres : Das erste Orakel
Ein Mann ist auf der Suche nach dem ersten Orakel, das ihm die dringendste Frage seines Lebens beantworten soll. Seit einem Vierteljahrhundert ist er schon auf der Suche danach, Frau, Familie, Freunde und sonstige soziale Kontakte hat er weit hinter sich gelassen. Als er auf einem einsamen Planeten havariert, findet er das Objekt seiner Begierde. Doch die Antwort des Orakels ist eine andere, als er es erwartet hat.
Nette Pointen-Story, die ihren Charme jedoch hauptsächlich durch das vermittelte Gefühl gewinnt. Endres hat hier die Einsamkeit und den egozentrischen Fanatismus des Suchers beeindruckend eingefangen.
Dirk Ganser : Das Leuchten in der Ferne
Um Tschernobyl herum leben die verstrahlten Ureinwohner, "Nachkommen der Pioniere, die die Auswirkungen fehlerhafter Abschirmungen auf die Umwelt beobachtet und dokumentiert haben". Und sie gehen ritualisiert immer noch der gleichen Tätigkeit nach.
Hochmoralische Geschichte, bei der der erhobene Zeigefinger aus jeder Zeile spriesst. Seit Ende der 80er ist dieser Stil ebenso wie die triviale Weltsicht überholt, Moderne geht anders.
Sven Klöpping : Der Entwicklungsplanet
Auf dem Entwicklungsplaneten kämpfen neue Robotermodelle gegen alte, um sich zu optimieren und irgendwann im Krieg der Menschen verheizt zu werden.
Nette Geschichte, der der letzte Kick fehlt. Allerdings gelingt es Klöpping ziemlich gut, den Standpunkt eines Roboters darzustellen und alles aus seiner Perspektive zu erzählen.
Miriam Pharo : Der Junge
Die Menschheit ist von einer Seuche praktisch ausgerottet, allein sucht eine Frau nach weiteren Überlebenden. Da trifft sie auf einen Jungen ...
Bissig, böse, pointiert : So eine Kurzgeschichte liest man gerne. Tatsächlich habe ich nach dem brutalem Ende fast zwangsläufig wieder zum Anfang zurückgeblättert und die Geschichte unter ganz anderen Vorzeichen noch einmal genossen. Zwar eine Pointen-Story ohne tieferen philosophischen Hintergrund, aber dafür eine der oberen 10%.
Lucas Edel : Der Tag der Zikade
Joe Finrich ist einer dieser lieben, netten,absolut uneigennützig handelnden Menschen. Und so bleibt er beim Exodus der Menschen von der Erde als Einziger zurück.
Lucas Edel stellt exemplarisch an einem SF-Szenario den Egoismus und die Ellenbogenmentalität der heutigen Gesellschaft in all seinen vielen Facetten dar. Mir persönlich etwas zu moralisch, doch insgesamt habe ich die Story genossen.
Frank Lauenroth : Goldene Zeiten
Ein Wissenschaftler entwickelt eine Verbindung von Gewehr und Zeitmaschine. Was Attentätern ganz neue Perspektiven aufzeigt ...
Eine frisch von der Leberweg erzählte und sehr gelungene Kriminalgeschichte, eine Mischung aus einem Asimov-SF-Krimiklassiker und einem Bogart-Film. Eine der besten Geschichten dieser Anthologie, die mich jetzt sehr neugierig auf "Boston Run" gemacht hat.
Thorsten Küper : Handlungsreisende
Die Corporation hat die Umwelt der Erde endgültig ruiniert, ihre Manager versuchen, sich ins All abzusetzen. Dort erwarten sie jedoch Piraten ...
Gut erzählt, aber insgesamt doch etwas platt. Der Story fehlt es an inhaltlicher Tiefgründigkeit, was die unzweifelhaft gelungenen Charakterisierungen der Piraten konterkariert. Schade, denn so bleibt die Story nur Mittelmaß.
Heidrun Jänchen : Die Isolierbox
Auf einer Erde der Nahen Zukunft werden drei gegen Radioaktivität immune Mutanten zur Bergung von Forschungsergebnissen eingesetzt. Einer stirbt, die anderen beiden fliehen vor der Käfighaltung durch das Militär.
Gut und spannend geschrieben, aber insgesamt belanglos.
Heinz Löbel : Zeiten
Harvey flieht mit der von ihm konstruierten Zeitmaschine vor der Gängelung und Bevormundung durch den Konzern, für den er sie entwickelt hat. Dann versucht er, die Zeitmaschine in der Vergangenheit zu zerstören ...
Inkonsistent und unlogisch, die Geschichte ist einfach nicht gut durchdacht. Was schade ist, denn stilistisch ist sie eigentlich gar nicht so schlecht.
Frederic Brake : pax vobiscum
Eine Art Steampunk-Version des Ersten Weltkriegs, in dem die Soldaten mit cybernetischen Ersatzteilen versorgt werden und nach und nach ihre Menschlichkeit verlieren. Kompromißlos erzählt Frederik Brake dies aus der Sicht eines jungen Patrioten, der sich schwerverletzt im Krankenhaus mit einem desillusioniertem Cyborg unterhält. Eine hervorragende Antikriegsgeschichte in der Tradition Remarques.
Nina Horvath : Die Duftorgel
Die Kommunaktion mit Aliens, die alleine durch Gerüche kommunizieren, ist schwierig. Iva Giese hat ein Kommunikationsgerät prototypisch entwickelt und rettet damit einen jungen Wissenschaftler. Obwohl sie für eine solche Rettungsmission nicht wirklich qualifiziert ist, wird sie von ihren Mitwissenschaftlern dazu gedrängt. Die zu allem Überfluß diese Mission auch noch versuchen zu sabotieren ...
Eine nette Geschichte, soweit es die Kommunikation mit den Aliens und den Rettungsversuch geht. Bis dahin auch in meinen Augen gut, aber nicht weiter bemerkenswert. In meinen Augen brilliant wird die Geschichte ab dem Zeitpunkt, an dem die Archäologie-Studentin Nina Horvath sich kritisch mit der wissenschaftlichen und universitären Gesellschaft auseinandersetzt. Hier zieht sie plötzlich vom Leder und setzt bisssige Kommentare ab, daß man sich den letzten Teil der Geschichte genüßlich auf der Zunge zergehen lassen kann. Würde sie eine SF-Geschichte schreiben, die sich nur in diesem Milieu bewegt, wäre diese zweifelsohne preiswürdig. Mir persönlich hat "Die Duftorgel" genau und nur wegen dieses letzten Teils ganz besonders gut gefallen.
Uwe Post : Träumen Bossgegener von nackten Elfen ?
Post hat wieder zugeschlagen. In seiner neuesten Story kämpfen sich drei Level-200-Charaktere durch ihr düsteres Fantasy-Universum, als dieses sich plötzlich mit dem nahegelegenem HAPPYLIFE, einer Casual-Welt mit rosa Ponys und fliegenden Herzchen, vermischt. Konsterniert gehen unsere Helden auf die Suche nach dem fiesem Bossgegner, der alles verursacht haben muß. Oder doch ein Programmierer-Bug ?
Gewohnt chaotisch überhöht Uwe Post hier die Stereotypen virtueller Welten und wirbelt sie gekonnt durcheinander. Die Kreativität dieser Story ist unglaublich, die feinen Details machen den besonderen Charme der Postschen Creation aus. "Die Konstrukteure des Ganzkörper-Rollenspiels MAGEDAWN hatten sich nicht um den Unterschied zwischen den Geschwindigkeiten von Licht und Schall geschert. [...] Die allgegenwärtigen Stufe-1-Ratten [...] In der ewigen Dämmerung von MAGEDAWN ging zum ersten Mal die Sonne auf. Und sie zeigte ein lachendes Gesicht." Mein persönlicher Favorit dieser Anthologie.
Niklas Peinecke : 300 PS intravenös
Werbung per Mücken hat so seine Tücken ...
Eine nette, kurze und bitterböse Extrapolation heutiger Werbemethoden. Lesenswert, insbesondere auch wegen der Auswahl und Darstellung der Protagonisten der Geschichte.
Merlin Thomas : Wunschkind
Über die kontrollierte (Er-)Zeugung von Kindern in der Zukunft. Gut erzählt, aber genau dieses Thema habe ich in der letzten Zeit etwas zu oft behandelt gelesen, von daher ist es für mich etwas überstrapaziert.
Harald Giersche : Die Reise
Ein Mann auf dem Weg zum Mars, zu seiner großen Liebe Julie.
Harald Giersches Antwort auf die Frage "Do Androids Dream of Electric Sheep ?" und zugleich ein sehr besinnlicher Ausklang dieser Anthologie.
Eine nette, kleine lesenswerte Anthologie, die zeigt, daß es auch neben NOVA und den Kurzgeschichten-Sammlungen des Wurdack-Verlags möglich ist, gute Story-Bände herauszugeben. Ich stimme allerdings Michael Schmidts Kritik zu, daß keinesfalls jede Geschichte eine Offenbarung an den Leser darstellt. Tatsächlich halte ich einige Stories dieser Anthologie für suboptimal, andere für überarbeitungsbedürftig. Dieser Mix aus (nach meiner persönlichen Sicht) guten, mittelmäßigen und suboptimalen Geschichten erinnert mich persönlich an die "Best of ..."-Anthologien des Heyne-Verlags, in denen Auswahlen aus dem "Magazine of Fantasy and Science Fiction" und "Isaac Asimov's Science Fiction Magazine" erschienen. Auch dort gefiel mir nicht jede Geschichte, es waren aber viele gute und einige sehr gute dabei. Ebenso wie meiner Einschätzung nach hier in den "Prototypen". Von daher teile ich Michael Schmidts Meinung, daß die Jubelarien im Lesezirkel auf dem SFN doch deutlich verfrüht sind, kann aber diese Anthologie guten Gewissens jedem SF-Fan weiterempfehlen. Ebenso wie die "phantastic episodes" I - IV, die mir ebenfalls beim Lesen viel Spaß gemacht haben.
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