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Sonntag, 18. Dezember 2011
Andromeda SF Magazin 149
Das Andromeda Science Fiction Magazin ist eine altehrwürdige Zeitschrift des SFCD. Jetzt, unter der Ägide von Michael Haitel, wird das alte Fanzine zu einem modernen Magazin, das zumindestens auf den ersten Blick keine Wünsche übrig lässt. Farbcover, eine großzügige Seitenaufteilung, qualitativ hochwertiges Papier und ein professioneller Satz lassen optisch und haptisch keine Wünsche offen. Doch leider ist die Form das einzige Positive des ASFM149.
Diese Nummer ist eine Spezialausgabe über George R. R. Martin. In einer solchen Spezialausgabe habe ich neben der unvermeidlichen Besprechung von "Das Lied von Eis und Feuer" ebenfalls Kommentare zu Armageddon Rag, Fevre Dream, seinen beiden großen Story-Sammlungen Sandkings und A Song for Lya sowie der von ihm herausgegebenen Wild Cards-Serie erwartet. Enthalten ist :
- Manfred Roth : Das Lied von Eis und Feuer (S. 4-25)
- Stefan Lorenz : Futuristischer Bocksgesang - Anmerkungen zu Dying of the Light (S. 26-45)
- Stefan Lorenz : Vox solitudinis - Religiosität, Einsamkeit und Nihilismus in George R.R. Martins frühen Kurzgeschichten (S. 46-64)
- Patrick Charles : Mehr als magische Schwerter und Fürsten der Finsternis - GRRMs "Lied von Eis und Feuer" (S. 65-74)
Das ist nicht das, das ich erwartet habe. Aber die einzelnen Artikel könnten ja inhaltlich brillieren, von daher ist dies noch kein starkes Manko. Leider tun sie das in keinster Weise.
Betrachten wir zunächst den ersten Feuer&Eis-Artikel. Er beginnt auf Seite 4 und endet auf Seite 25. Von diesen 22 Seiten sind die ersten 9 Seiten, also knapp die Hälfte, einer Inhaltsangabe gewidmet. Wer braucht das ? Glaubt der Nacherzähler Manfred Roth eigentlich, daß diesen Quark irgendjemand liest ? Diejenigen, die die Romane gelesen haben, kennen die Details, die anderen hätten vielleicht gerne eine kurze Inhaltsangabe, um die Romane grob einschätzen zu können. Das war schon einmal verschwendeter Platz. Die nächsten zwei Seiten des Artikels sind der Geographie von Eis&Feuer gewidmet. Dabei stellt Manfred Roth erstaunt fest, daß GRRM keine präzisen Angaben macht - also einen der billigsten Schriftsteller-Tricks benutzt. Mehrfach bringt Roth hier das Zitat "Weniger ist mehr", doch leider versteht er es nicht, denn er schwafelt und schwafelt und schwafelt ohne auf den Punkt zu kommen. Aber egal, nächstes Kapitel. Hier untersucht Manfred Roth die Frage "Fantasy oder quasi-historischer Ritterroman ?". Er stellt sogar fest, daß GRRM aktiver Rollenspieler ist, ist aber nicht in der Lage, diese Kenntnisse logisch anzuwenden. Stattdessen redet er von einem Einfluß byzantinischer Geschichte, wenn er Standard-Szenarios einer Rollenspiel-Kampagne beschreibt. Mann Gottes, GRRM ist nicht nur aktiver Rollenspieler, Charles Stroß hat eine seiner Figuren sogar in den AD&D-Standard eingebaut (bzw. einbauen lassen). Wenn man weder dies weiss, noch sich jemals mit Rollenspielen beschäftigt hat, sollte man sich schon fragen, ob das Schreiben einer Rezension über eine Rollenspiel-Kampagne (mehr ist Feuer&Eis nämlich nicht) wirklich zielführend ist. Der Rest des Artikels ist ähnlich qualifiziert, ich habe keine Lust, im Detail darauf einzugehen.
Der zweite Feuer&Eis-Artikel von Patrick Charles ist nicht ganz so katastrophal. Doch genau wie der von Manfred Roth strotzt er vor nichtwissender Borniertheit. Das wird schon im zweiten Absatz deutlich, in dem er Fantasy als Genre definiert, "das sich in den letzten Jahren keinen guten Ruf gemacht hat". Der Rest des Artikels stösst in das gleiche Horn wie der von Manfred Roth. Ich kann nur beiden Leuten empfehlen, sich mit dem Thema einmal etwas genauer auseinanderzusetzen und vielleicht mehr zu lesen als "Das Lied von Eis und Feuer" und die Bildzeitung. Etwa Robert Jordan, Roger Zelazny, Robert Ervin Howard, L. S. de Camp und Poul Anderson. Auch Brent Weeks, Mercedes Lackey, Elizabeth Moon und David Eddings wären hilfreich zum Verständnis von GRRM. Und nicht zu vergessen Katherine Kurtz, die bereits Jahre vor GRRM Ritterromane exakt derselben Coleur geschrieben hat. Die moderneren Autoren kenne ich nicht genauer, ich weiss aber, daß die großen Alleinstellungsmerkmale, die die beiden Rezensenten bei GRRM entdeckt zu haben glauben, keine sind. Jetzt jedenfalls nicht mehr, interessant wäre eine Untersuchung gewesen, inwieweit diese "Low Fantasy" zum Zeitpunkt ihres Erscheinens die Fantasy an sich befruchtet hat. Oder welche stilistischen Elemente von Feuer&Eis sich etwa in Webers "Honor Harrington" (oder anderer moderner epischer Phantastik) wiederfinden.
Beiden Artikeln fehlt neben dem Verständnis für Fantasy an sich auch Hinweise auf die anderen Romane und Novellen aus dem Feuer&Eis-Zyklus, die neben der Hauptreihe veröffentlicht wurden. Über die Tales of Dunk and Egg wird von Manfred Roth nur in einem kleinen Nebensatz eingegangen ... denn die könnten ja sein "profundes" Urteil über "Das Lied von Eis und Feuer" erschüttern und diesen Kram da einordnen, wo er hingehört : In den ganz normalen, heutzutage fast schon standardisierten Mehr-als-2500-Seiten-Fantasy-Schmöker. Ebenfalls fehlt mir eine ausführliche Behandlung von GRRMs TV- und Film-Arbeiten, die sicherlich nicht ganz unwesentlich dazu beigetragen haben, das "Das Lied von Feuer und Eis" jetzt als Fernsehserie produziert wird.
Aber diese mangelhafte Sachkenntnis bei "Feuer & Eis" hatte ich fast schon erwartet, der Hype bezüglich dieses Schmökers (der mich persönlich stark an die Harry-Potter-Hysterie erinnert) produziert fast zwangsläufig solche Artikel. Aber es sind ja noch zwei weitere Artikel im ASFM 149 enthalten, beide von Stefan Lorenz. Doch, lieber Leser, lass' alle Hoffnung fahren : Die toppen die Feuer&Eis-Artikel noch.
In "Futuristischer Bocksgesang" beschäftigt sich Stefan Lorenz auf 20 Seiten mit dem Roman Dying of the Light. GRRMs erster Roman von 1977, für den Hugo und den British Fantasy Award nominiert. Das Ding ist also schon 34 Jahre alt, ist da heute noch eine 20-Seiten-Besprechung sinnvoll ? Egal, lesen wir einmal rein. Als allererstes fällt auf, daß Quellen ausführlich dokumentiert sind, schon mal positiv. Aber worum geht es im ersten Kapitel ? Darum, daß man angeblich SF-Romane schwer klassifizieren kann. Hallooo, wo ist da ein Verweis auf Simon Spiegel, unseren Schweizer Schubkasten-Einteiler ??? Nix, nur Gelaber des Feuilletons, die ihren hochgestochenen Mainstream in Gefahr sehen. Und was lese ich zu meinem Erschrecken im letzten Absatz des ersten Kapitels ? "Es soll in der nachfolgenden Untersuchung versucht werden, zu klären, inwieweit der Roman Dying of the Light als Tragödie bezeichnet werden kann." Wen interessiert das denn ???? Aber ich gebe nicht auf und lese weiter, da kann sich ja immer noch eine scharfsinnige Textanalyse hinter verbergen. Das zweite Kapitel versucht in Kurzform, den Begriff der Tragödie zu definieren. Wer Roman oder Film "Der Name der Rose" kennt, kann sich in etwa vorstellen, was hier steht. Und ja, Aristoteles Rhetorik wird dargestellt. Aber immerhin kurz, knapp und präzise, eine Erholung nach den Feuer&Eis-Artikeln. Aber danach vergalloppiert sich Lorentz vollkommen, stellt Schauplatz und Personen extremst ausführlich inklusive englischer Originalzitate dar. Warum die englische Version, gibt es Kritik an der Übersetzung ? Kein Wort wird darüber verloren, obwohl Stefan Lorentz beide Texte vorliegen. Diese Textdarstellung zieht sich 17 Seiten hin, von denen gut ein Drittel englische Originalzitate sind. Langweilig, langweilig, langweilig. Erst auf den letzten beiden Seiten kommt Lorentz zum Punkt beziehungsweise versucht es. Und findet nach langem Herumwinden heraus, daß aufgrund der Hauptfigur der Roman als Tragödie einzuordnen ist. Wäre ich ja nicht drauf gekommen. Hätte man diesen Artikel auf 2-3 Seiten gekürzt, wäre er lesbar gewesen, so ist er nur ein Langweiler, den geneigte Leser bei Schlafstörungen als Heilmittel benutzen können. Ganz davon abgesehen, daß Lorentz offenbar keine Ahnung von SF hat, denn er bezeichnet diesen mehr als ein Vierteljahrhundert alten Roman als "Roman der modernen Science Fiction". Da scheint einiges an literarischer Entwicklung an ihm vorbeigelaufen zu sein. Und ganz nebenbei : In diesem Roman werden die Githyanki erwähnt, das sollte eine Diskussion des Romans zumindestens als Kuriosum bemerken.
Diese negative Erfahrung lässt mich ja Schlimmstes für den zweiten Lorentz-Artikel befürchten. In "Vox solitudinis" will er sich mit Religiosität, Einsamkeit und Nihilismus in George R.R. Martins frühen Kurzgeschichten beschäftigen. Dies macht er im gleichen Stil wie oben, genauso langweilig und mit englischen Originalzitaten überfrachtet. Echt nur was für literarische Masochisten. Unter dem ganzen Geschwafel verschwinden Lorentz' Kommentare zu den Stories, der gesamte Artikel ist in dieser Form unbrauchbares Füllmaterial. Es macht keinen Spaß, ihn zu lesen.
Und das gilt für die gesamte Ausgabe. Mir, als langjährigem Fan von George R. R. Martin, hat diese Spezialausgabe über ihn keinen Spaß gemacht. Trotz des zweifelsohne tollen Aussehens innen und außen (das Titelbild von Lothar Bauer ist ein Genuß) bietet diese Ausgabe des Andromeda Science Fiction Magazins inhaltlich nur "pseudo-literarurwissenschaftliches Geschreibsel, das "vor allem dazu dienen soll, den Autor als tollen Hecht darzustellen", wie Klaus Frick es in seinem Blog formuliert hat. Das ist um so bedauerlicher, als Michael Haitel sich mit dem Editieren dieser Zeitschrift nicht nur extrem viel Mühe gegeben hat, sondern das Aussehen des Magazins auch keinen irgendwie gearteten Kritikpunkt bietet, sondern eher Begeisterungsstürme produziert. Doch die Verpackung kann noch so gut sein, über den unqualifizierten Inhalt kann sie nicht hinwegtäuschen.
Ähnlich wie KNF bedaure ich diese negative Sicht auf ein professionell mit Herzblut herausgegebenes Magazin. Doch in 2012 steht ein Zelazny-Special an und die gleichen Verdächtigen versuchen auch dort, sich mit der Länge ihres Beitrages zu profilieren. "Weniger ist mehr", um das von Manfred Roth benutzte GRRM-Zitat nochmals zu bringen. Und in dieser Ausgabe sollte nicht nur die Form, sondern auch der Inhalt lektoriert werden.
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