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Sonntag, 20. Februar 2011

Uwe Anton : Venus ist tot

Aus dem FABYLON-Verlag kommt eine Story-Sammlung klassischer Stories aus dem Schaffenswerk des Uwe Anton. Bereits das Vorwort von Andreas Decker macht Lust auf mehr. Hier wird kurz und knapp die Geschichte der deutschen SF-Story im allgemeinen und die von Uwe Anton im speziellen beschrieben. Beim Umblättern zur ersten Geschichte gefällt sofort das textlich abgesetzte und sehr ausführliche Vorwort, das der Autor jeder einzelnen Story voranstellt. Hier beschreibt er in launiger, manchmal sentimental-melancholischer Art und Weise Entstehungs- und Publikationshistorie der einzelnen Geschichten und stellt angenehm lesbar das gesellschaftspolitische und persönliche Umfeld der Story dar. Ich empfand das als sehr hilfreich zum Einordnen der einzelnen Geschichten, zur Einstimmung auf sie sind diese Einleitungen fast unverzichtbar. Aber kommen wir zu den Stories im einzelnen :

Willkommen in der Wirklichkeit (ca. 1990)
Kendrick kommt von einer Tagung zurück nach Pine County. Erst ist die Stadt völlig verlassen, dann ist sie plötzlich voll mit Menschen, die ihn nicht mehr erkennen. Doch diese Stadt gibt es garnicht, tatsächlich liegt Kendrick in einem Drogenschlaf, er ist das Versuchskaninchen einer Terroristengruppe für ihren nächsten Anschlag. Oder ist auch das nur Illusion.
Eine klassische Dick-Story, nur diesmal von Uwe Anton. Die erste Fassung schrieb er mit 18, voll unter dem Eindruck dieses großen Autors. Man merkt aber deutlich den eigenen Stil des Autors, die doch etwas anders geartete Herangehensweise.

Der Moment der Wahrheit (1977)
Carpenter jagd ausgebrochene Androiden. Doch eines Tages stellt er fest, selber ein Android zu sein …
Dem geneigten SF-Fan fällt natürlich auf, daß dies eines der ganz großen Themen des Philip K. Dick ist. Allerdings : Die Story erschien 1977, fünf Jahre vor "Blade Runner". Und man spürt auch deutlich den deutschen Einfluß jener Jahre, die Geschichte ist wesentlich kompromißloser und leider auch oberflächlicher als der Dick'sche Roman. Trotzdem ist es faszinierend, eine andere Herangehensweise an das gleiche Thema zu lesen.

Heimkehr (1980)
Nach ihrem ersten Testflug finden die Piloten des ersten Überlicht-Raumschiffs eine menschenleere Erde vor. Nachdem sie ihre Flugroute nochmals abfliegen, ist alles wieder normal – fast alles, denn sie sind die 36. Crew des ersten ÜL-Schiffes, die ankommt.
Ebenfalls klassisch, ebenfalls schon oft von amerikanischen Autoren gelesen, wird hier der Einfluß der angloamerikanischen SF auf Uwe Anton sehr schön verdeutlicht. Doch wie schon in "Moment der Warheit" ist die Herangehensweise eine andere, die Ausführung unterscheidet sich doch wohltuend von seinen Vorbildern.

Das Gitter (1980)
Plötzlich ist ein holographisches Gitter in der Wohnung von Nat und Ruth, das Nat folgt. Als er sich bei der Hausverwaltung danach erkundigt, wird von den Behörden eine Abweichung vom normalem Sozialverhalten festgestellt und das Gitter repariert.
Eine bissige Story über den Überwachungsstaat, auch hier merkt man wieder die kompromißlose Schreibe des Autors. Sehr gelungen ist die extreme Reduzierung der SF-Gimmicks, die Geschichte liest sich weitgehend als realistische Darstellung.

In der Androidenfabrik (1981)
C-114 ist ein Mensch und stellt Androiden her. Da entdeckt er in einer Fabrikhalle einen flüchtigen Androiden. Er jagd und tötet ihn, muß aber feststellen, daß er selbst ein Roboter ist.
Das hier ist die professionelle Ausarbeitung von "Moment der Wahrheit", wobei die Unterschiede in Plot und Stil es praktisch zu einer neuen Story machen. Wesentlich kraftvoller als in der ersten Story erzählt Uwe Anton hier die Geschichte noch einmal, ohne sich allerdings zu wiederholen. Ich fand den Vergleich mit der früheren Version wahnsinnig interessant, hat mir viel Spaß gemacht. Kompliment auch an die Redaktion, denn in den meisten Story-Sammlungen scheut man sich doch, verschiedene Versionen einer Geschichte zu bringen.

Ich liebe Deinen Stolz und Deine Einsamkeit (1981)
Trotz überlichtschnellen Raumfluges muß man sich für längere Strecken doch noch kryogenisch einfrieren lassen. So auch Cone Foss, ein frisch geschiedener Auswanderer. Doch die Träume während dieser Zeit und seine Paranoia im Anfangsstadium bringen ihn dazu, sich umzubringen.
An dieser Plotzusammenfassung merkt man schon, daß ich kein Schriftsteller bin, denn die Story enthält noch viel mehr : Die Einsamkeit des frisch Verlassenen, die Angst vor der Gesellschaft, die Rücksichtslosigkeit der Moderne. Dabei ist all dies in einen scheinbar mehr technisch orientierten Plot versteckt, fast könnte man von einer Action Story sprechen. Eine ganz besonders gelungene Story, auch wenn man sie beim ersten lesen einfach nur konsumiert.

Galaabend im Hypersensio (1981)
Lobey ist ein Musiker der Zukunft, konditioniert, keine Gefühle zu empfinden, aber Gefühle im Publikum zu erzeugen. Um ihn zu einem der ganz großen Performer zu machen, zerstört sein Lehrmeister die Konditionierung – mit tragischen Folgen.
Wahnsinnig spannend geschrieben fiebere ich bei jedem Lesen der Story wieder mit dem Protagonisten mit.

Ein kurzes, vertrauliches Gespräch mit dem Herausgeber (1982)
Im deutschen SF-Fandom wurden Roboter entwickelt, die sprechen und denken wie große SF-Autoren. Und sie können auch genauso schreiben. So lassen sich weltweit die Autoren nach und nach durch Roboter ersetzen, die generische SF schreiben, während ihr Original sich in der Karibik sonnt.
Ein ziemlich böser Kommentar zum angloamerikanischem SF&F-Einheitsbrei, der sich bereits vor einem Vierteljahrhundert genau so, wie er sich heute darstellt, ankündigte. Uwe Anton wehrt sich hier gegen die generische SF&F, gegen die Endlosserien, "die alte Konzepte durchkauen und nur selten etwas Neues liefern". Wie wir alle heute (2009) in den Regalen der Buchhandlungen sehen können, war dies nicht genug, ich finde es jedoch faszinierend, daß diese Story trotz ihres Alters aktueller denn je ist.

Venus ist tot (1982)
Lerry, ein junger Psychoplasmaformer von Morrisons Planet, hilft seinem Freund, seine bei einem Unfall getötete "Große Liebe" wiederauferstehen zu lassen. Doch dieses auferstandene Wesen kann nur überleben, wenn sie tatsächlich geliebt wird…
Wie Uwe Anton im Vorwort sagt, entstand diese Story unter dem Eindruck des Weltschmerzes eines 16jährigen. Genauso liest sie sich auch. Also schwamm drüber. Allerdings ist das Vorwort angenehm launig, das fand ich richtig gut.

Roboter im Warnstreik (1988)
Als ein Genialer Erfinder eine neue Generation von Müllrobotern erfindet, die alle bisherigen überflüssig macht, treten diese in den Streik. Dieser wird unerträglich, bis man als Lösung für die Roboter eine Art Gefühlsmodul entwickelt, mit dem sie Sex haben können.
Eine amüsante kleine Geschichte voll mit dem Lebensgefühl der Endsiebziger. Wie die Lösung des Roboterstreiks dreht sich hier praktisch alles um Sex, ein Kontrapunkt zu den teilweise aseptischen US-amerikanischen SF-Stories. Sehr witzig fand ich auch den Seitenhieb auf Isaac Asimov's Robotergeschichten, die Darstellung von Susi Kalvin und ein Vergleich mit Susan Calvin hat ihre ganz eigene Komik.

Die schleichende Revolution (2008)
In Wulf G. Moldens Haus geschehen seltsame Dinge : Die Frauen, die auf seine beiden Kinder aufpassen, sterben oder werden wahnsinnig. Er selbst steht vor einem Rätsel. Nachdem er kurz davor ist, selber als mutmaßlicher Täter von der Polizei verhaftet zu werden, erkennt er den Grund für die Zwischenfälle : Der neue Waschautomat ist hypnotisierend …
Nette Vignette, aber auch hier ist die Vorgeschichte der Story interessanter als die Story selber.

Das große kleine Schiff (1983)
Lerry, ein angehender Psychoformer von Morrisons Planet, fliegt zur Erde, um seine Ausbildung zu vervollständigen. Auf dem Weg dahin bringt ihm Domminick die Faszination eines Raumschiffs bei.
Nette Story, die in interessanter Art und Weise die Gegensätze zwischen Natur- und Technik-Liebhabern darstellt.

Roboterlogik (1988)
Felix und Fiona Applebaum haben sich auseinandergelebt. Fiona versucht, Felix umzubringen – mithilfe der Haus- und Garten-Roboter und der Asimovschen Gesetze.
Es ist interessant zu sehen, wie Uwe Anton eine realistischere Darstellung der Asimovschen Gesetze als Asimov selber zuwege bringt. Im Gegensatz zu Asimov konzentriert sich Anton mehr auf den zwischenmenschlichen Bereich und zeigt die eher negativen Seiten der Robotergesetze auf.

Das Schloß (1989)
Ein einfaches Adventure-Game – aus Sicht der Adventure-Spielfigur.
Faszinierend und einfühlsam geschrieben erzählt Uwe Anton von der Absurdität von Adventure-Games. Das Ergebnis ist eine wahnsinnig humorvolle Geschichte, die ihre Komik nur durch die Schilderung vom Standpunkt der Spielfigur aus bezieht.

Jurassic Mark (1995)
Die Dinosaurier sind nicht ausgestorben, sondern haben sich zu körperlosen Geisteswesen weiterentwickelt. Jahrmillionen hatten sie ihre Ruhe – bis die Menschen auf der Erde in der Nachfolge von "Jurassic Park" alle möglichen Dinosaurier-Machwerke produzierten. Dagegen mussten sie sich wehren und erschienen in Werth, dem Kernstück der Fußgängerzone von Wuppertal-Barmen.
Sehr komisch und bissig kommentiert Uwe Anton den Dinosaurier-Hype in der Nachfolge von Spielbergs Film. Ironisch stellt er alle Erkenntnisse der Wissenschaft auf den Kopf, bezeichnenderweise transportiert durch zwei Schulkinder. Eine sehr amüsante Story.


Eine sehr gelungene Story-Sammlung. Viele der Geschichten kannte ich bereits, besonders diejenigen, die bereits früher in "Terra Astra" oder bei Heyne erschienen sind. Das hat meinem Lesevergnügen aber keinen Abbruch getan, im Gegenteil, die ausführlichen Vorworte erlauben es, diese Stories aus einem anderen Blickwinkel neu zu beleuchten. Auch gelingt es Autor und Lektorin, Wiederholungen zu vermeiden und eine echte Werkschau der Kurzgeschichten von Uwe Anton auszuwählen. Diese Auswahl, zusammen mit den sehr gelungenen Einführungen in Story-Geschichte und persönlichem Kontext, macht "Venus ist tot" gerade für den älteren SF-Leser zu einem ganz besonderen Leseerlebnis. Ich habe diese Sammlung jedenfalls ganz besonders genossen und kann sie nur wärmstens weiterempfehlen.

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