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Samstag, 14. Januar 2012

Anne McCaffrey : Schiffs-Zyklus

Von Anne McCaffrey habe ich viel gelesen. Begonnen hatte dies vor Jahrzehnten mit den Romanen um die Drachenreiter von Pern. Gerade die ersten fünf in Deutschland erschienenen Bände lese ich immer wieder, speziell die Geschichten um Menolly und Moreta haben ihre ganz eigene Magie.

Aber meiner Meinung nach sind die Pern-Romane weder ihre besten noch ihre bedeutendsten Werke. Während die ersten Bände noch originell sind, wiederholt sich die Geschichte aus "Dragonflight" und "Dragonsearch" doch regelmäßig, so daß mir das Lesen der späteren Romane des Pern-Zyklus keinen Spaß mehr machte. Nein, mich ganz persönlich haben zwei andere Zyklen von ihr tief beeindruckt, weniger vom Inhalt als mehr von der Machart her. Für mich ganz persönlich sind die Romane aus dem Schiffs- und dem Piraten-Zyklus die bedeutendsten Werke von Anne McCaffrey. Zumindestens haben sie den größten Impact auf meine Bibliothek gehabt.

Ausgangsbasis im Schiffs-Zyklus ist eine Menschheit, die sich weit im All ausgebreitet hat. Krankheiten können und werden mit modernsten Mitteln behandelt. Doch auch in dieser Gesellschaft gibt es Menschen, die unheilbar krank werden. Oder so geboren sind. Und hier bietet diese Menschheit eine Wahl an : Diese Babys können entweder ein Leben als Mensch mit (suboptimalem) Exoskelett führen oder als Zentraleinheit eines Raumschiffes leben. Wobei diese Zentraleinheiten (sogenannte "Brains") sich selbst bewusst sind und sozusagen das Schiff an sich darstellen. Denn statt laufen zu lernen, lernen sie das Fliegen im Weltall. Genauer gesagt sind sie an eine Lebenserhaltungsmaschine in einer Titan-Legierung angeschlossen und ansonsten genauso menschlich wie Du und ich. Nur andere Fähigkeiten haben sie. Und diese Brains sind immobil insofern, als sie sich nicht aus dem Schiff entfernen können. Dazu haben sie dann ihren beweglichen Konterpart, den sogenannten "Brawn".

Das erste Buch des Schiffs-Zyklus ist bereits 1969 erschienen und basiert auf ab 1961 erschienenen Kurzgeschichten um Helva, das Schiff, das sang :


Anne McCaffrey : The Ship Who Sang
Corgi Books 1980 (4. Auflage)
200 Seiten



Als Kind wird Helva in das Brainship-Programm aufgenommen. Sie entwickelt sich und ihre Fähigkeiten, als Hobby versucht sie, zu singen. Was ihr auch gelingt und sie allgemeine als "das Schiff, das singt" bekannt macht. Sie geht eine innige Beziehung mit ihrem Partner Jennan ein, verliert ihn jedoch bei einem Unfall. Aus der tiefen Depression, in die sie nach seinem Tod verfällt, reisst ihr neuer Partner sie heraus und sie wird das erste Brainship, das mit dem neuesten Interstellar-Antrieb den Pferdekopfnebel erreicht.

Sehr lyrisch und mitreissend ist dieser Roman ein Klassiker, von McCaffrey selbst als einer ihrer besten bezeichnet. Ich habe ihn immer wieder gerne gelesen, weil ich die Kombination aus platonischem Liebesroman und SF hier besonders gut getroffen finde. Erst auf deutsch in der Heyne-Ausgabe, später dann im Original.

Es lies sich nämlich nicht vermeiden, die Geschichten im amerikanischem Original zu lesen, da die Übersetzungen der Fortsetzungen auf sich warten liessen. Wie ich oben schrieb, sind die Geschichten um Helva aus den 60ern, der Roman als solcher 1969 erschienen. Mehr als zwanzig Jahre später, 1992, folgte die erste Fortsetzung mit Geschichten um das Brainship Nancia.


Anne McCaffrey & Margaret Ball : Partnership
Baen Books 1992
320 Seiten

Auf ihrem Jungfernflug wird Nancia als Transport für reiche Schnösel benutzt, die sich innerhalb der FSP-Gesellschaft unmöglich gemacht haben. Diese Schnösel stellen sich als psychopathische kriminelle Elemente heraus und das Buch erzählt, wie Nancia mit diesen Leuten umgeht.

Tatsächlich erzählt das Buch noch viel mehr : Es kritisiert lautstark das amerikanische Rechtssystem, in dem zufällig erlangtes Wissen und nicht vorschriftsmäßig erlangte Beweise nicht zu einer Verurteilung von Kriminellen führen darf. Dies wird sehr geschickt als psychologisches Problem dargestellt und von den Autorinnen als negative Eigenschaften der Protagonisten zum Leser transportiert.

Die Helva-Geschichten waren noch pure McCaffrey. Das sind auch die einzigen Geschichten des Schiffs-Zyklus, die nicht in Kooperation mit anderen Autorinnen geschrieben wurden. Und diese fremden Einflüsse merkt man deutlich. Sie gefallen mir mal mehr, mal weniger, seltenst überhaupt nicht. Und sie motivierten mich, die Bücher der Co-Autorinnen zu lesen. Und das ist in meinen Augen für mich ganz persönlich Anne McCaffreys grösste Leistung.

Margaret Ball hat sich leider deutlich anderen Hobbies zugewandt, ihren Kindern und dem Quilten. Was schade ist, denn ihre Flameweaver-Bücher haben mir sehr gefallen. Das ist bei der nächsten Co-Autorin etwas anders, sie schreibt noch heute und ich habe nicht wenige ihrer Romane in meinen Regalen stehen :


Anne McCaffrey & Mercedes Lackey : The Ship Who Searched
Baen Books 1992
300 Seiten

Hypatia Cade, so benannt nach der letzten Bibliothekarin der großen Bibliothek von Alexandria, erwischt ein außerirdisches Virus und wird zu einer Shell Person. Auf den Spuren der "Ancients" verliebt sie sich in ihren Partner und ist die erste Shell Person, die sich einen mobilen Androidenkörper bauen lässt.

Wenn zwei große Geschichtenerzählerinnen mit einem Faible für Liebesgeschichten zusammentreffen, potenziert sich die Story. So auch hier, selten so einen herrlich schmachtenden und dabei wenig kitschigen Roman gelesen. Dies war der Anstoß, mich mit Mercedes Lackey zu beschäftigen und in der Zwischenzeit habe ich einiges von ihr im Regal stehen. Dagegen habe ich vom nächsten Co-Autor bisher noch nichts weiter gelesen, was unter anderem daran liegen könnte, das wenig von ihm ins Deutsche übersetzt wurde, englischsprachige Originalromane immer schwerer zu bekommen waren und Stirling scheinbar erst heutzutage zu Höchstform aufläuft.


Anne McCaffrey & S.M. Stirling : The City Who Fought
Baen Books 1994
430 Seiten

Diesmal ein Brain als Verwalter einer Sternenstadt, bedroht von Piraten und Plünderern. Deutlich weniger unkritisch als die Vorgänger-Romane gegenüber Brains eingestellt, legen McCaffrey und Stirling hier ein spannendes Kammerspiel vor, das sich zu lesen lohnt.

Der letzte Band des Zyklus, den ich bisher gelesen habe, hat mit gar nicht gefallen :


Anne McCaffrey & Jody Lynn Nye : The Ship Who Won
Baen Books 1995
330 Seiten

Charialle, das Brainship, und Keff, ihr Partner, entdecken auf einem Planeten eine Technologie, die die beherrschende Klasse zu Magiern macht.

Wie gesagt, überhaupt nicht mein Geschmack, das Buch kann sich nicht entscheiden, ob es Fantasy oder SF ist. Und zum ersten Mal in dieser Serie sind die Protagonisten auch nicht gut beschrieben und ihre Aktionen und Reaktionen nicht wirklich nachvollziehbar. Vielleicht einer der Gründe, warum ich mich nie intensiver mit Jody Lynn Nye beschäftigt habe, was sicherlich ihr gegenüber ungerecht ist.

Aber insgesamt hat mir dieser Zyklus viel gegeben, mich auf neue Autoren aufmerksam gemacht und mich viel sensibler gegenüber dem Stil einzelner Autoren werden lassen. Meines Wissens sind Anne McCaffrey und Marion Zimmer-Bradley auch die einzigen Autorinnen ihrer Generation, die in dieser Art und Weise neue Autorinnen und Fans protegiert haben. Und nicht nur aus ihrer eigenen Clique, Mercedes Lackey kommt aus der Ecke von MZB. Und Mercedes Lackey hat, was ich persönlich wiederum sehr angenehm finde, dieses Prinzip der Kooperationen weitergeführt ("Serrated Edge"-Serie etc.), so daß man durchaus von einem von Anne McCaffrey und Marion Zimmer-Bradley ausgelöstem Schneeball-Effekt sprechen kann. Diese Betreuung des Nachwuchses, diese Weitergabe des Wissens an nachfolgende Generationen halte ich für mich persönlich für die grösste Leistung dieser beiden Autorinnen.

Zurück zum Schiffs-Zyklus : So sehr er mir auch gefällt, gibt es doch deutliche inhaltliche Kritik durch Behindertenverbände. Im heutigen Rückblick muß man auch konstatieren, daß die im Zyklus angesprochenen Behinderungen mit modernen Mitteln ganz anders "behoben" werden könnten, als Anne McCaffrey es sich vor 50 Jahren überlegte. Handy, GPS-System, intelligente Exoskelette, weiterentwickelte Chirurgie machen die Ausgangsbasis der Romane fragwürdig. Man denke nur an die relativ unproblematisch (und teilweise schon gar nicht mehr als "anders" wahrgenommenen) unter uns lebenden Contergan-Kinder. Sarah Einstein sagt dazu :
This is not the sort of future disability advocates envision. No, we see a future without stairs. A world in which people no longer build doorways too small for a power chair to pass through and every raised threshold also has a ramp. One in which all public meetings and performances have a sign language interpreter available and restaurants have large print and Braille menus on hand. We envision a future in which disability—like race, gender, ethnicity, and other identity axes—may inform, but certainly not define, who a person is.
Quelle

Ich kann die Lektüre dieses Essays nur empfehlen. Allerdings, und hier geht mir persönlich die Kritik etwas weit, sollte man berücksichtigen, daß die Romane 50 bzw. 25 Jahre alt sind und inhaltlich auch in ihrer Zeit gesehen werden müssen. Sie haben sich, was die Behandlung Behinderter angeht, schlicht und einfach überholt und sind diesbezüglich veraltet. Andererseits gehen Robert A. Heinlein und Louis McMaster Bujold mit Behinderungen anders um und deren Bücher sind auch nicht gerade taufrisch. Aber da mögen sich berufenere Köpfe drüber unterhalten, für diese Diskussion bin ich einfach nicht weit genug im Thema drin.

Die Romane des Schiffs-Zyklus sind im Deutschen alle bei Bastei erschienen :



Wer mag, kann sie also auch in der deutschen Übersetzung von Ralph Tegtmeier geniessen.

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